Über den Widerspruch von Antikapitalismus und kommunistischer Gesellschaftskritik
Leipzig, eine von gemeinen Linken immer wieder und
fälschlicherweise als antideutsch dominiert bezeichnete Stadt, bleibt
weiterhin Spielwiese der sogenannten radikalen Linken, welche beweist, wie man
unter guten Bedingungen der Erkenntnis dennoch und gerade wenn es darauf
ankommt vollständig regredieren kann. Der Krieg ist verloren und
die Antikriegsposition blamiert: Zeit weiterzumachen wie bisher. Lesende Linke
gibt es hier, solche die versichern wie bescheuert der Werner Pirker in der
jungen Welt, der schäumende Kurz, der stumpfe Punk um die Ecke, die
Montagsdemonstranten seien und wie wichtig doch Solidarität mit Israel und
der Einspruch gegen den Antiamerikanismus.
Linke, die uns lange politikwissenschaftliche Ausführungen über die
Zivilgesellschaft halten und sich Satz um Satz um die spannende
Frage, ob denn der liberale Import aus den USA in Deutschland seinen Namen
überhaupt verdient, herumdrücken. Um ihrer Theorie, die
Zivilgesellschaft wäre als Staat, der seinen Rückzug
inszeniert (BgR) ein schnödes Projekt der Herrschenden,
Plausibilität zu verleihen, beginnen sie ihre Handvoll historische
Abrisse drei Jahre nach Wiedervereinigung, also erst zu dem Zeitpunkt als
die Deutschen ihre Exorzierung der Vergangenheit als Entnazifizierung der
ordentlichen, deutschen Gemeinschaft initiierten, welche moralisch gereinigt
nun in der Lage ist, uns die Welt neu d.h. aktualisiert
nationalrevolutionär zu erklären. Die Referenten wehrten sich
vehement dagegen, in den antibürgerlichen Massenbewegungen von den
neunziger Jahren bis heute Spuren nationalsozialistischer Selbstverwaltung zu
entdecken: diese war ja, so wußte das BgR zumindest früher
beispielsweise, als es die Wurzener Bevölkerung angriff
maßgeblich eine von allen Deutschen betriebene Verstaatlichung der
Gesellschaft. Jedenfalls gab es auf der Veranstaltung jede Menge Fakten, die
einem irgendwas zu verstehen gaben, und das Publikum wurde nicht mit Hinweisen
genervt, was das ganze denn mit den ökonomischen und historischen
Bedingungen und dem daraus resultierenden Handeln und Denken zu tun haben
könnte. Und am Schluß wurde klargestellt: Die Linksradikalen sollen
von der Zivilgesellschaft die Finger lassen. Nur eine Frage blieb offen. Haben
hier Zivilgesellschaftler zu Linksradikalen geredet oder wollten uns
Linksradikale etwas über Zivilgesellschaft erklären?
Doch das ist nur die übliche Variante, welche zeigt, wie Menschen ihr
Hobby alsbald zum Beruf machen, was erträglich und soweit der Lohn
im Verhältnis zur Mühe ihnen genußvolle Reproduktion der
Arbeitskraft ermöglicht zu wünschen wäre, wenn sie nicht
damit für radikale Kritik unwiederbringlich verloren wären und fortan
der deutschen Gesellschaft als Beispiel des eigenen friedlich-europäischen
Selbstverständnisses gälten.
Eine andere Variante, sich von kommunistischer Kritik nach Lektüre
unzähliger Bücher zu verabschieden, offenbart viel desaströser,
wozu die im Tabubruch geschulte Linke fähig ist: So kann man in Leipzig in
einer linken Stadtzeitung einen Text lesen, welcher sich ziemlich irr an die
Thesen eines Jörg Friedrich und eines Günther Grass heranschleicht.
In zwei, drei Sätzen ergießt sich eine dermaßen
reaktionäre Phantasie, daß man sich zu fragen hat in welcher
Verfassung die Redaktion der Incipito ist, die diesen Text in den Druck
gibt. Es wird die ekelhafte These des Schandl Franz in Stellung gebracht, der
allen ernstes behauptet und sein Leipziger Nachturner meint es genauso
daß es im Krieg, so wie bei einer Vergewaltigung, um das
mutwillige Eindringen in etwas, was nicht will ginge, was nicht
weniger bedeutet, als das der Irak den Autoren wohl als
weiblich-natürlicher Volkskörper erscheint, der von der
Vernichtungslogik des kapitalistischen Krieges qua Invasion
vergewaltigt wird. Mit dieser Logik wird auch der Volkssturm 1945 zu Notwehr.
Gegenteiliges lässt sich im Text des Leipziger Autoren nicht finden.
Der Autor scheint sich in die angegriffene Gemeinschaft die
im Krieg so gedemütigt würde einfühlen zu können; so
stark scheint sein Bedürfnis zu sein, dass er darüber die
Bevölkerung des Iraks nicht sehen mag, die die Soldaten der US-Army,
sofern sie alle Tassen im Schrank hatte, als Befreier und mitnichten als
Vergewaltiger begriffen hat, weil sie die Umwälzung ihrer
Verhältnisse für lohnenswert hielt. Aber so kleinliche Unterschiede
wie der zwischen dem Versuch eine föderale Demokratie zu installieren und
dem Erhalt eines Regimes des Massenmords scheinen dem Meisterkritiker nur den
Feldweg zur Erkenntnis zu verstellen, so steht ja beides für die
Zerstörung und Vernichtung des menschlichen Individuums nicht
etwa seine(r) Schaffung. Wer solchermaßen vom prinzipiell
vernichtenden Wesen des Kapitalismus schwadroniert, hat mit
Kapitalismuskritik in kommunistischer Absicht nichts mehr am Hut. Er negiert
und das ist nichts neues alle emanzipatorischen Potentiale von
Aufklärung und Glück und wischt damit auch alle Maßstäbe
kommunistischer Kritik, die der bürgerlich säkularen Emanzipation
entspringen, vom Tisch. Was übrig bleibt ist die existentialistisch
aufgeblasene Krisenangst, die sich vor westlichen Werten ekelt und durch deren
scheinbare Negativität die Wärme echter menschlicher Gemeinschaft
schimmert. Kritik am Kapital, zu der der Genosse einmal angetreten war, wandelt
sich zurück in das Ressentiment vom Kapital, welches die Zumutungen der
Welt auf ein abstraktes Prinzip verschiebt und die handelnden Individuen als
Spielball dessen entschuldigt.
Kritik am Kapitalismus hieße einzusehen, daß die hiesigen
gesellschaftlichen Verhältnisse zu eng geworden sind, um den von
ihnen erzeugten Reichtum zu fassen (Marx) und mit Horkheimer es als
Unverschämtheit zu begreifen, daß die Welt Hunger leiden
muß, obwohl längst möglich wäre sie zu
ernähren, und also mit dem Bewußtsein ausgestattet zu sein,
daß die Verhältnisse dem Individuum alles vorenthalten und dabei
gleichzeitig alles für es bereithalten.
Kritik des Staates hieße ferner zu begreifen, daß in der Krise eine
ganze Reihe Subjekte auferstehen, deren Spleen den privaten Charakter, der
sonst toleriert oder behandelt wird, verliert und die zur Bewegung
zusammenschießen. Deren Haß richtet sich gegen die Zumutungen der
Zurichtung als freie Einzelne, die sich gefälligst selbst um ihre Probleme
zu kümmern haben. Sie verschieben ihre Verantwortung auf den Staat, dessen
Personal versagt, oder auf die Wirtschaft, deren Personal nur an sich denkt,
oder linksintellektuell formuliert auf die subjektlose Herrschaft
(die nur als widersprüchlich gedachter Begriff Sinn macht). Indem sie ihre
Kritik immer an den Staat richten, offenbaren sie ihr verstaatlichtes Denken:
Das Ressentiment vom Staat bezeugt nur, wie ausgezeichnet sie den Staat
internalisiert haben. All das ist in Deutschland bis zur Vernichtung in Praxis
durchexerziert worden, weshalb alles, was sich dieser Verlaufsform
anähnelt, als deutsch zu denunzieren ist.
Deutsch ist der Ruf nach Frieden: Appell an den Staat sich gegen die USA zu
engagieren, weil man sich, als Verteidiger des Bestehenden, davon verspricht,
die gebrochene Souveränität der Weltmacht erhöhe die Chance
für die Freiheit der zu-kurz-gekommenen Massen, Völker, Kulturen und
Lebensentwürfe. Damit abstrahiert dieser Appell aber vom Garanten der
bürgerlichen Freiheit der Einzelnen und setzt diese Freiheit
voraussetzungslos, als Potential selbst barbarischer Zustände. So zum
Beispiel, als deutsche Friedensfreunde argumentierten, die Bevölkerung des
Irak möge sich doch selbst von der Diktatur befreien, oder in der Rede von
der Verteidigung der Souveränität einzelner Staaten als Voraussetzung
für Emanzipation. Frieden und Freiheit im bürgerlichen Sinn sind aber
letztendlich nur garantiert durch übermächtige
bürgerlich-staatliche Gewalt. Jeder Einspruch dagegen, der das nicht
mitreflektiert, verkehrt die Begriffe von Frieden und Freiheit ontologisch. Er
wendet sie als antimaterialistische Hoffnung gegen den Garanten: in der
Projektion, die westlich-liberale Demokratie, welche die Vereinigten Staaten
nach dem zweiten Weltkrieg erst wieder zu implantieren versuchten, sei
letztendlich Schuld an den Problemen und Mißständen, der Krise
weltweit und verhindere die Möglichkeit von wirklichem
Frieden.
Die sogenannte radikale Linke, die Gegen Krieg! und Gegen die
deutsche Friedensbewegung! schreiend den Reflektierten mimt und gegen
Deutschland leider nur Moral in petto hat und damit keine Chance ihr Denken
gegen Staat und Kapital zu radikalisieren, laden wir ein zur Aufklärung
über den Widerspruch von Antikapitalismus und kommunistischer
Gesellschaftskritik. Referieren wird Justus Wertmüller von der Berliner
Zeitschrift Bahamas.