Gegen Attac & Co.

Die Referate der zweiteiligen Veranstaltungsreihe der Antideutsch-Kommunistischen Gruppe Leipzig


1. Die Rede der Globalisierungskritiker

Seit dem Zusammenbruch der bipolaren Weltordnung breitet sich das liberal-amerikanische Wirtschaftsmodell des aggressiven, zynischen Freihandels wie ein Geschwür über die Welt aus. Die Auswirkungen dieser Globalisierung sind verheerend: Mit Willkür werden “die fundamentalen Werte” der unterlegenen Kulturen und Nationen “auf sozialem, ökonomischem, kulturellem und ökologischem Gebiet ”zerstört. “Doch während der Gegensatz zwischen Arm und Reich immer größer wird, hat die verborgene Faust des freien Marktes viel zu tun, ... sie braucht einen Verbund von loyalen, korrupten, vorzugsweise autoritären Regierungen ... eine Presse, die so tut als wäre sie frei, ... Gerichte, die so tun als sprächen sie Recht ... Sie braucht Atombomben, Armeen, strenge Einwanderungsgesetze und Grenzpolizisten, die dafür sorgen, dass nur Kapital, Waren, Patente und Dienstleistungen globalisiert werden.” Denn das Projekt Globalisierung kennt nur die Ideale des amerikanischen way of life und akzeptiert keine anderen. Der Lebensstil der Reichen kann nur durch die Unterdrückung ganzer Völker entstehen. Ohne Skrupel wird sich der Form des Krieges bedient, nur um Freihandelszonen zu schaffen und um den Einfluss der multinationalen Konzerne zu erhöhen. “Der Einsatz von Krieg, Vertreibung, Terror, Völkermord dient einzig und allein dem Ziel, die territorialen Besitzverhältnisse zugunsten der Protagonisten der neoliberalen Wirtschaft neu zu ordnen: die Bevölkerung aus wirtschaftlich vielversprechenden Landesteilen zu vertreiben oder auszulöschen um hier anschließend ungestört die vorgesehenen Geschäfte betreiben zu können.” Die Gefühle der Menschen werden manipuliert und dann benutzt, um solche Kriege zu rechtfertigen. Die verborgene Faust des Marktes heißt US-Army, “denn ohne McDonnell Douglas kann McDonald’s nicht erfolgreich sein.”
Mit seiner anderen Waffe, dem freien Markt, bricht Amerika zusätzlich über die Entwicklungsländer herein und erdrückt sie. Eine Handvoll gieriger Banker und Unternehmenschefs dirigiert diese Unternehmungen und regiert die Welt. Sie sind weder von jemand gewählt noch gewollt worden. Doch sie haben nie genug. Die egoistische Machtgier ist grenzenlos und nicht zu stillen. Die nationalen Wirtschaften werden willkürlich durch mächtige Konkurrenten und erbarmungslose Spekulationen zugrunde gerichtet. Kleine und mittelständische Unternehmen müssen den Konzernen der Superreichen weichen. Börsenspekulanten sind die Nutznießer von Firmenpleiten und fördern somit den Niedergang der produzierenden Betriebe, dadurch werden viele ehrlich arbeitende Menschen arbeitslos. Hinter verschlossenen Türen treffen die Drahtzieher der Globalisierung Entscheidungen in den Gremien von WTO und IWF, die Politiker führen diese Beschlüsse willfährig aus. Die Politik ist zum hörigen Instrument des Neoliberalismus geworden. Somit werden politische Entscheidungen gefällt, zu Lasten der Armen und der unterlegenen Völker und zum Nutzen skrupelloser Ausbeuter.

2. Ressentiment statt Begriff

Die Globalisierungskritiker haben keine Begriffe. Noch vollständiger als die orthodoxen Marxisten haben sie aufgehört, ihre Begriffe untereinander und mit der Realität zu vermitteln. Und dennoch funktionieren sie: Ihre Begriffe begründen zwar nichts mehr, aber sie brauchen es auch nicht, da das Publikum und der inner circle der Globalisierungskritiker kein Verlangen danach hat, sich einen Begriff von der Wirklichkeit zu machen.
Die Sprache der Globalisierungkritik entfaltet sich genau auf diesem Umstand: Die Flugblätter, die Äußerungen der Agitatoren und Intellektuellen strotzen vor Begriffen, die ihnen nicht erklärungsbedürftig sind, die sich “von selbst verstehen”, ganz dem Anspruch der Popularisierung verpflichtet. Diese Worte, die so allgemein verständlich erscheinen, sagen tatsächlich eine Menge, nur taugt das was sie sagen nicht, den Umstand zu erhellen. Das was sie sagen funktioniert ähnlich wie das Blinzeln: Die Erwähnung eines Wortes weckt bei den Anhängern und Zuhörern eine Assoziation, die nicht beliebig ist. Sie ist ihre geheime Gemeinsamkeit. Für diese Assoziationen kommen Sie auf Veranstaltungen und auf Demonstrationen. Sie möchten ihre Ahnungen bestätigt sehen und Vorurteile mit anderen zusammen ausleben. Der Begriff der “Herrschenden” zum Beispiel meint auch “die da oben” und “Ausbeuter” oder “Heuchler”, er umschreibt eine unbestimmte Personengruppe, die in irgend einer Weise z.B. “die Menschen” oder gar “die Welt” beherrschen. Sie haben “etwas” vor, was entweder “verborgenen Interessen” unterliegt oder sie “schamlos selbst bereichert”. Agitatoren und Zuhörerschaft der Bewegung haben ein inniges Verhältnis zueinander, der Agitator geht seine Zuhörer nicht von außen her an; vielmehr gibt er sich als einer aus ihrer Mitte, der ihre innersten Gedanken formuliert. Er rührt das auf und drückt das in Worten aus, was in ihnen gärt. Charakteristisch ist die Ähnlichkeit mit der Verführung: keiner der beiden bleibt gänzlich passiv und es ist nicht immer deutlich, wer die Verführung initiiert hat. Es entsteht ein Spielraum für Unbestimmtheiten, der das gemeinsame Geheimnis beständig thematisiert ohne es gedanklich fassen und artikulieren zu müssen. Diesem Umstand entspringt eine starke Dynamik. Es ermöglicht den Unzufriedenen, ohne ihre Wut in Frage stellen zu müssen, die Aggressionen straffrei zu entladen. Gemeinschaft gründet sich eben durch das durch Pseudo-Begriffe und andere Bilder vermittelte Gefühl, das gleiche Objekt des Hasses zu verfolgen. Die Themen der Globalisierungskritiker entstehen aus diesem Drang, weil sie eine Analyse der Gesellschaft aus dem Bauch heraus vornehmen, was zu einer “Verschränkungen von Ressentiment und Wirklichkeit” führt. Die Empirie wird “als Trophäe der Entlarvung begierig aufgegriffen und triumphierend vor sich her getragen”(1), dient jedoch nur der Bestärkung der eigenen Gefühle. Suicide bombers beispielsweise, die über Schulungen der islamistischen Gruppen eingeschworen und gedrillt werden, um sich mit Tricks und großem Aufwand, oft verkleidet, nach Israel zu schleichen, um eine möglichst große Menge Juden mit in den Tod zu nehmen, werden als verzweifelte Menschen mit Wut über das Unrecht dargestellt, die keine andere Wahl hätten, als sich als lebendige Bombe in die Luft zu sprengen. Die Beschreibung der Täter ist nicht zufällig die Beschreibung der eigenen Position, Recht zu haben, gegen das Unrecht loszuziehen – nur ist die Bombe Platzhalter für die Faszination bis ans Äußerste zu gehen, ohne für das Handeln verantwortlich zu sein (“die Umstände zwingen dazu”), ohne Rechenschaft abgeben zu müssen, weil die Legitimation evident scheint: der Lohn ist die selig machende, frei schwebende Gerechtigkeit. All diese infantilen Gelüste - über die Welt größenwahnsinnig nach dem eigenen Seelenhaushalt zu richten - möchten sich ausleben: Sie tun es als Protest in einer Massenbewegung, die ihren Akteuren nichts vorschreibt, sondern die plural irgendwelche Kräfte bündelt, die alternativ klingen, sich Sorgen machen über irgendwas, die von “Verteilung” und “Gerechtigkeit”, von “Imperialismus”, “Kriegstreibern”, “Globalisierung von unten”, “Sozialismus”, “Global Action”, “Kulturkreisen” “Zerstörung von Lebensräumen”, “kultureller Vielfalt”, “Mc-Donald’s-Kultur”, “Machtgier” etc. reden und deren Wörter nichts erklären, sondern eine Bewegung von Bescheidwissern initiieren, die auf “Lösung der Probleme” drängt. Ihre Agitation für eine “bessere Welt” ist auf diese Weise – und es ist die einzige Weise, die in dieser Konstellation möglich ist – antiaufklärerische Agitation. Diese repräsentiert nicht nur ein unbegriffliches Ressentiment-geladenes Denken, sondern bedroht durch ihre tätliche Umsetzung Restbestände emanzipatorischer Positionen, da sie im Namen dieser handelt und sie für das Projekt einer reaktionären Krisenbewältigung einspannt.

3. Index der Wahrheit in der falschen Kritik

Die geheime Gemeinsamkeit der Kritiker der “Globalisierung” ist wie gesagt unartikuliert und gedanklich nicht gefasst. Der Grund liegt in dem Umstand, dass die Rede von der Verschwörung sie in die Schublade von nerds befördern würde und weil die Artikulation dessen “was vor sich geht” mangels brauchbarer Fakten ein Problem darstellt, das dadurch behoben wird, dass es bei Andeutungen oder Bildern bleibt, die – wie oben beschrieben - die Phantasie anregen.
Fast alle Themen der Globalisierungsgegner drängen darauf, denn in ihrer Unfähigkeit abstrakt zu denken sind sie genötigt, für das, was passiert, einen Schuldigen zu finden, weil sie die Wirkungsmächtigkeit abstrakter Prozesse nicht denken können. Somit sagen sie aber etwas über die Gesellschaft selber aus, denn sie sind ja ein Teil von ihr. Die Formulierung des Unbehagens, dass etwas falsch läuft, die Empörung über gesellschaftliche Zustände ist nicht aus der Luft gegriffen: Das subjektive Leiden der Einzelnen ist in diesem Sinne Ausdruck des allgemeinen. Adorno: “Das Bedürfnis, Leiden beredt werden zu lassen, ist Bedingung aller Wahrheit. Denn Leiden ist Objektivität, die auf dem Subjekt lastet; was es als sein Subjektivstes erfährt, sein Ausdruck, ist objektiv vermittelt.” Das heißt, erst über sein subjektives Leiden vermittelt sich das Objektive. Wenn man das Verlangen der Globalisierungskritiker betrachtet, stellen sich folgende Fragen: Aus welchen gesellschaftlichen Verhältnissen und Umständen speist sich das Fühlen und Denken? Welche Bedürfnisse befriedigt die Wahl der Themen? Das ideologische Denken, also das aus-dem-Bauch-heraus-Gedachte, ist, wenn man es als eben dieses reflektiert, Index von Wahrheit über diese Gesellschaft. Unser Anliegen als Materialisten, die diese Gesellschaft abschaffen wollen, ist daher Ideologiekritik zu üben, zu kritisieren wie sich Gesellschaft vermittelt über den Einzelnen reproduziert. Aufklärung und aufklärerische Agitation heißt demnach, die Kritik aufzurichten an der Reproduktion der Gesellschaft und ihrer immanenten Tendenz sich in die Barbarei zu stürzen.

4. Das Kapital – Die Verschwörung

Das Ressentiment über das Kapital ist ein gutes Beispiel für die Art und Weise, wie die Globalisierungskritik durch ihr personalisierendes Denken eine Menge über den philosophischen Gehalt des Kapitals sagt, natürlich ohne ihn zu begreifen. Letztendlich ist ihre Form der Kritik so klassisch antisemitisch, dass es ihrer polemischen Erledigung bedürfte, doch bereitet es Erkenntnisgewinn, diese Mülltonne zu öffnen. Weswegen hasst der Antisemit? Beleuchten wir die subjektive Beschwerde des Antisemiten am Weltlauf. Den Verschwörungstheorien ist ein Unbehagen an der Gesellschaft, am Ausgeliefertsein an fremde Mächte und undurchschaubar-verflochtene Entscheidungsinstanzen über Leben und Tod, Aufstieg und Untergang gemein. Diese Mächte sind hier als Mächtige identifiziert, als die Profiteure aller Kriege und Krisen, als verschworene Fädenzieher im Hintergrund, als Juden. Während diese Identifizierung – Macht zu Mächtigen – bereits der Kauf des antisemitischen Tickets ist, lohnt es sich bei dem unmittelbar empfundenen Unbehagen zu verweilen.
Denn das subjektive Gefühl der Fremdbestimmung des eigenen Lebens findet eine objektive Entsprechung im gesellschaftlichen Kapitalverhältnis. Eine unbeherrschbare Gesellschaftsmaschinerie führt tagtäglich dem Einzelnen seine Nichtigkeit vor Augen und bedroht ihn in seiner Existenz stoisch wie Natur. Mag das Subjekt sich noch so viel auf seine Freiheit einbilden, diese endet dort, wo seine Verwertbarkeit aufhört. Der individuelle Raum freier Entfaltung und persönlicher Glückserfüllung war nie mehr als eine Nische, das vom gesellschaftlichen Betrieb noch nicht Erfasste. Der Lebensweg ist gesellschaftlich, also objektiv insofern vorbestimmt, als die Menschen, wie Marx sagt, gesellschaftliche Charaktere eines gesellschaftlichen Produktionsprozesses sind. Um nun Aussagen über Form und Inhalt dieses sozialen Zwangskorsetts treffen zu können, müssen wir die gesellschaftlichen Bedingungen erhellen, deren Ausdruck es ist.
Die schlechte moralische Kritik an der Gesellschaft empört sich über deren Ungerechtigkeit. Marx hingegen hat mit der Kritik der politischen Ökonomie gezeigt, dass es sehr wohl gerecht zugeht und gerade hierin das Problem liegt. Denn die formale Gerechtigkeit ist die Gleichheit vor der verselbständigten Kapitalbewegung. Vor dem Gesetz sind alle gleich, doch ungleich in der Lebenswirklichkeit. Alle haben das gleiche Recht, sich für die Kapitalakkumulation benutzen zu lassen und sie müssen es – sei der Wunsch nach Ausbruch noch so groß - wollen sie nicht ins soziale Aus geraten. “Ich verzehre mich nach dem Dunkel – und je dunkler es ist, desto grauenhafter ist es.”(2) Nicht der Mensch ist Mittelpunkt dieses Produktionsverhältnisses, sondern das übergeordnete Formgesetz der Warenproduktion, in welcher alle weiteren Implikationen bereits enthalten sind – Profitmaximierung, Kapitalakkumulation, letztlich die gesellschaftsimmanenten Bewegungen. Davor ist der Einzelne buchstäblich ein Nichts. Die an äußeren Bestimmungen ausgerichtete Existenz des Menschen ist permanent prekär. Die Allmacht der Gesellschaft gelangt jedoch oft erst in Zeiten schleppender Akkumulation zu Bewusstsein. Solange die Produktion rollt und die Massen in Lohn stehen, mag der Zwang zum Mitmachen als natürlich rationalisiert werden – ist doch der individuelle Ausstieg gleichbedeutend mit sozialem Abstieg in die Kälte der Gosse. Sobald aber sich die Wirtschaft in der Krise befindet und die existentielle Bedrohung handgreiflich wird, hebt das Geschrei um die Schuldigen an, welches nicht wahrhaben will, das die Schuld das Produktionsverhältnis trägt.
Doch die Verblendung beginnt nicht mit der Krise. Sie ist vielmehr adäquater Ausdruck einer spiegelverkehrt erscheinenden Welt: Das gesellschaftliche Verhältnis menschlicher Arbeiten erscheint als Verhältnis von Arbeitsprodukten, das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als äußeres Verhältnis von Gegenständen, die gesellschaftliche Bewegung der Tauschenden als Bewegung von Sachen. Der gesellschaftliche Produktionszusammenhang stellt sich wie ein übermächtig wirkendes Gesetz gegen die individuelle Willkür her. Der erwirtschaftete Profit scheint dem Profiteur zur freien Verfügung zu stehen. Dem entgegen wirkt der Konkurrenzdruck, der ihn zwingt, den Profit erneut gewinnbringend anzulegen, bei Strafe des Bankrotts. Somit ist auch der Profit keine individuelle, sondern eine gesellschaftliche Verteilungskategorie(3) Kapitalistische Produktion und Verteilung bedingen sich wechselseitig. Die Form der Produktion prätendiert die Verteilung, wie ihrerseits die Verteilung schon wieder Produktionsmoment ist.
Marx wies mit seinem Begriff des “Fetischismus, der den Arbeitsprodukten anklebt” auf diese Nichtidentität von Wesen und Erscheinung der kapitalistischen Produktion hin. Seine Warnungen waren damals noch leise: “Die Ansicht, die nur die Verteilungsverhältnisse als historisch betrachtet, aber nicht die Produktionsverthältnisse, ist einerseits nur die Ansicht der beginnenden, aber noch befangnen Kritik der bürgerlichen Ökonomie. Andrerseits beruht sie auf einer Verwechslung und Identifizierung des gesellschaftlichen Produktionsprozesses mit dem einfachen Arbeitsprozeß, wie ihn ein abnorm isolierter Mensch ohne alle gesellschaftliche Beihilfe verrichten müßte.” Jene falsche Kritik bildet heute, entfaltet, den Kern der Antiglobalisierungsagitation. Wo sie Totalität erfährt, redet sie von den total Mächtigen. Die geheime, alles bewegende Macht, die ihnen erscheint, ist jedoch nichts als die undurchschaute, allumfassende Bewegung des Kapitals.
Die Kapitalbewegung intendiert nicht die repressiv über den Tausch hergestellte Gleichheit, hat sie aber zum Resultat. Der Zwang zur Verwertung schlägt alles in den Bann von Identität. Dieser Bann, nichts als bewusstlose Konsequenz zur gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeit gebündelter Einzelhandlungen, wird dem Globalisierungsgegner zum Desiderat und zur Grundlage der affirmativen Praxis von Krisenbewältigung.

5. Das Ressentiment als Tat: Die Austreibung der Krise

Der Traum der Verschwörungstheoretiker und Globalisierungskritiker ist im Resultat derselbe: Frieden, gerechte Ruhe zieht ein in die Welt, nachdem diejenigen, die Krise und Ungerechtigkeit verschuldeten, verschwunden sind. Wie selbige das Verschwinden denken, ist abhängig von Restbeständen der Humanität, der rationalen Motive der Handelnden. Als Wahn, der dieser Traum ist, ist jedoch unkalkulierbar in welcher Konsequenz er sich austobt, hat er die Möglichkeit dazu. Die vergangenen Monate, Djerba, Bali, Moskau, Kenia, Bangladesch machen deutlich, dass die Zeit zu beschwichtigen nicht ist. Heißt es nach einem ideologiekritischen französischen Sprichwort: “L‘ argent n’a pas de maître”- “Geld hat keinen Herrn” gilt für den Wahnbehafteten doch, dass er zwanghaft denjenigen sich vorstellen muss, der dem Geld Herr ist: In diesem Akt reproduziert er das Kapital indem er sich gegen das Kapital austobt.
Was das abstrakte Prinzip – der Wert, der sich selbst absolut setzt – mit der Realisierung von Mehrwert konkret werdend vollzieht, nur zu dem Zweck, sich selbst zu verwerten, erscheint in persona im Globalisierungsgegner. Ihm ist der Wert, der absolut werden will, der gerechte Tausch – der reine, absolute Zustand der Ruhe, die Stillstellung der Ökonomie – und in der Personifizierung und Vernichtung der “Schuldigen” akkumuliert er konkret die Idee: gierig und maßlos dynamisch gegen die Dynamik. Denn für den, der dem Kapitalismus nur ein Verteilungsproblem attestiert, ist die Krise Verschärfung der Ungerechtigkeit und Bestätigung seiner Erkenntnis: Die Schmarotzer treiben es immer bunter. Die Krise beschleunigt den Zwang, immer neue Opfer finden zu müssen. Dieser Zwang macht “die Blindheit des Antisemitismus”(4), von der Horkheimer und Adorno sprechen, aus: “Immer ruft der Antisemitismus erst noch zu ganzer Arbeit auf”. Nach der Tat ist vor der Tat, ins Unendliche hinein. Die antisemitische Gefolgschaft, “die weder ökonomisch noch sexuell auf ihre Kosten kommt, haßt ohne Ende; sie will keine Entspannung dulden, weil sie keine Erfüllung kennt.” Doch eben nach Erfüllung drängt es die Antisemiten und gerade das macht ihre Rastlosigkeit aus. “So ist es in der Tat eine Art dynamischer Idealismus, der die organisierten Raubmörder beseelt. Sie ziehen aus, um zu plündern, und machen eine großartige Ideologie dazu, faseln von der Rettung der Familie, des Vaterlandes, der Menschheit. (...) Alles Lebendige wird zum Material ihrer scheußlichen Pflicht.”(5) So wechselt der Antisemit zwischen Idee, Friedhofsruhe und Tat, Totschlag hin und her. “Er geht beständig von der einen in die andere Form über, ohne sich in dieser Bewegung zu verlieren, und verwandelt sich so in ein automatisches Subjekt.”(6) In diesem Sinne wird der Globalisierungsgegner zum Träger der Ideologie der totalen Gerechtigkeit; das ist die unmenschliche Zurichtung, die er sich selbst antut, durch die er seinen Antrieb erfährt und zur Tat schreitet: Beseitigung der Ungerechtigkeit endlos, maßlos, zum Zwecke des in der Unendlichkeit erscheinenden Ideals des gerechten Tauschs. “Die Tat wird wirklich autonomer Selbstzweck”(7) und “die Zirkulation des Geldes als Kapital ist (...) Selbstzweck, denn die Verwertung des Werts existiert nur innerhalb dieser stets erneuerten Bewegung.”(8) Und die Idee der Gerechtigkeit existiert nur, wenn sie einen Träger findet, den es zur Tat drängt. So wie das Geld Repräsentant des Werts ist, ist der Verschwörungstheoretiker Repräsentant der absoluten, endgültigen Gerechtigkeit, indem er sich selbst als allgemeinen Menschen, als “Gleichen”, Allgemeinen darstellt. So wie das abstrakte Prinzip, der Wert, sich das Besondere, Einzelne einverleibt, um sich selbst zu verwerten, so mordet der Entindividuierte die Besonderen, die Anderen, die unter Allgemeinen “auffallen ohne Schutz”, endlos und gefräßig für ein Ziel, das sich - unerreichbar wie eine Fata Morgana - vor dem Wahnsinnigen herschiebt. “Zwischen Antisemitismus und Totalität bestand von Anbeginn der innigste Zusammenhang. Blindheit erfasst alles, weil sie nichts begreift.”

6. Die Negativfolie des Glücks

“Noch als Möglichkeit, als Idee müssen sie [die betrogenen, antisemitischen Massen] den Gedanken an jenes Glück immer aufs neue verdrängen, sie verleugnen ihn um so wilder, je mehr er an der Zeit ist.”(9) Von dieser Erkenntnis ausgehend ist es notwendig – so merkwürdig es klingt – den Antisemitismus als Bedürfnis ernst zu nehmen und ihn ideologiekritisch zu wenden. Kurz: Was der Antisemit hasst, ist Index für den Kommunismus. Indem in der Projektion, der Jude, Amerikaner, Kommunist als Statthalter für die verbotenen Früchte, nach denen er sich selbst sehnt, erscheint, treten – negativ – die Genüsse auf den Plan, die ein kleines Licht auf den Kommunismus werfen: Als Kosmopolit dort zu wohnen, wo er möchte. Als unverdient Glücklicher, der nicht arbeiten muß. Als mit Reichtum Überschütteter, der sich keine Sorgen machen muss. Als Feinfühliger, der sinnliche Erfahrung auskostet. Als Ungerechter, der dem Zwang des Tauschs, dem Elend des Vergleichens entkommen ist. Das Objekt der antisemitischen Projektion ist abzutasten auf die Fixpunkte für den Hass. Aus diesen Fixpunkten könnte in der Reflexion darauf eine neue kommunistische Tradition – gegen die verhärtete des Arbeiterbewegungsmarxismus – entstehen , die keinen Platz für antiemanzipatorische Mogelpackungen, wie sie die Globalisierungsgegner sind, hat. Diese haben nur einen Nutzen: als Negativfolie.

II. Antiemanzipation als Friedensbewegung

0. Einleitung

Spätestens seit den antisemitischen Anschlägen vom 11.9.2001 auf das WTC sollte für jeden offenbar geworden sein, dass, wenn man von Globalisierung redet, man leider auch die Globalisierung des Antisemitismus konstatieren muss. Es mutet paradox an: Gerade weil die Linken den antisemitischen Gehalt der Anschläge nicht reflektieren, affirmieren sie ihn zugleich als Motiv der Tat. Sofort gingen die Linken dazu über, davor zu warnen, wie die USA auf den Terror reagieren würde. In diesem antiimperialistischen Reflex zeigte sich der antisemitische Hass gegen die westliche Zivilisation – der gemeinsame Nenner der globalen antisemitischen Erweckungsbewegung.
Die Gemeinsamkeit von Islamisten, Panarabisten, rechten und linken Antiimperialisten, Globalisierungsgegnern und Friedensbewegten tritt angesichts des bevorstehenden Kriegs gegen den Irak wiederum deutlich zu Tage. Die Tatsache, dass die Genannten nun gemeinsam gegen “Zionismus und Imperialismus” demonstrieren, unterstreicht die Gefahr des globalen Antisemitismus.
Ganz gemäß dem kategorischen Imperativ Adornos, alles zu tun, damit sich Auschwitz und Ähnliches nicht wiederhole, muss es kommunistischer Gesellschaftskritik darum gehen, den Kollektivwahn antisemitischer Subjekte zu bekämpfen, um das, was der bürgerlichen Gemeinschaft zu Gute zu halten ist - Streben nach Individualität und einem freien Leben - vor den regressiven Tendenzen kapitalistischer Vergesellschaftung zu retten. Wir sind uns im klaren, dass innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft das Streben nach Glück und Individualität permanent durch die Bewegungsgesetze des Kapitals unterminiert wird. Aber angesichts einer noch größeren Bedrohung gilt es innerhalb kapitalistischer Vergesellschaftung den Traum vom amerikanischen way of life gegen die Zumutungen kollektivistischer Ideologien, die auf Volk, Kultur oder Religion rekurrieren, stark zu machen. Nochmehr gilt es Israel zu verteidigen, den Staat, welcher den Juden endlich Schutz gewähren soll, nachdem der antisemitische Wahn der bürgerlichen Subjekte den Juden eine sichere Heimat in der Diaspora verweigerte. Die Grenzen Israels stellen heute die Grenzen gegen den Wahn des Antisemitismus dar. Es ist die Aufgabe kommunistischer Bewegungen, dem Wahn des Antisemitismus Einhalt zu gebieten und die winzigen emanzipatorischen Momente dieser Gesellschaft zu retten, damit eine Hoffnung auf einen versöhnten Zustand überhaupt noch erhalten bleiben kann.

1.1. Alltagsreligion Antisemitismus

Sind wir Wahnsinnige, wenn wir permanent die Kritik des Antisemitismus forcieren? Nein, der Antisemitismus ist der Wahnsinn, der die Juden und das jüdische Prinzip bis ans Ende der Welt verfolgen will. Der Antisemitismus ist der Wahnsinn, welcher als notwendig falsches Bewusstsein aus den warenförmigen Verhältnissen, die heute global anzutreffen sind, erwächst. Der Antisemitismus ist als Reaktion auf die kapitalisierten Verhältnisse immerwiederkehrender Bestandteil dieser Verhältnisse. Der Antisemitismus ist die schrecklichste und mörderischste Variante des Kapitalverhältnisses, unter dessen Knute die Menschen von Bagdad bis Washington, von Grosny bis Moskau und überall handeln und denken, seien die Menschen arme Schlucker oder reiche Firmenchefs. Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir zwar wie in jeder Epoche der Menschheitsgeschichte mit unserem Handeln Geschichte machen; das Resultat unserer einzelnen Handlungen jedoch - das Kapitalverhältnis - bleibt uns in seiner geschichtlichen Bewegung fremd und in seiner Wirkungsmächtigkeit unkontrollierbar. Diesen verrückten Zustand, in dem Menschen zu den Gefangenen ihrer eigenen Handlungen werden, bezeichnete Karl Marx als Herrschaft der zweiten Natur. In diesem Zustand entsteht Ideologie, weil das menschliche Denken die Ursachen der geschichtlichen Bewegung nicht durchschaut. Der gesellschaftliche Zustand erzeugt zudem eine permanente Krise in den Subjekten. Jene zeigt sich in der permanenten Unruhe der Menschen, die eigene Arbeitskraft verkaufen zu müssen, sich ständig an die gegebenen Verhältnisse anzupassen, um nicht unterzugehen, sich als Staatsbürger korrekt zu benehmen und so weiter. Die Krise ist die permanente Gewalt, die sich die Subjekte freiwillig antun müssen. Früh aufzustehen, sich durch einen Blechstau zur Arbeit oder zur Schule zu quälen, die gesellschaftlichen Anforderungen bewältigen zu können, sich niemals einer existenzgesicherten Zukunft gewahr zu sein, unter der Diktatur des eigenen Terminkalenders zu stehen und die Rolle als Frau, Mann, Schüler, Student, Arbeiter, Manager oder Chef zu erfüllen. Und nie ist der ersehnte Zeitpunkt einer gesicherten Existenz erreicht. Nie ist man sich seiner Versorgung mit Nahrungsmitteln, eines Daches über dem Kopf, Liebe, Freundschaft, sexuellen Glücks und Ruhe sicher. Die ständige Angst um die Sicherung des eigenen Lebens schreit nach der Emanzipation von dieser Angst, nach einem Eingriff in den Lauf der Geschichte.
Der Wille zur Emanzipation wird zum um sich schlagenden Wahn, wird die Ursache des eigenen Leidens und der eigenen Ohnmacht nicht im blind rasenden Kapitalverhältnis reflektiert, sondern in konkretisierten Orten und Personen ausfindig gemacht. Das antisemitische Denken findet die Schuld aller Unordnung, Asozialität und Unbehaglichkeit im Handeln derjenigen, die als Gegenprinzip der Ordnung der eigenen Person, der eigenen Nation oder des eigenen Volkes halluziniert werden. Die gefundenen Feinde seien kulturlos, traditionslos, ideallos, unmoralisch, materialistisch, raffgierig, wurzellos, profitgierig, künstlich, gemeinschaftsuntüchtig, a-sozial, umtriebig und damit zersetzend. Ist ein solcher Feind erst einmal ausgemacht, wird der apathische Zustand verlassen und endlich zur geschichtlichen Tat geschritten. Der Antisemitismus neutralisiert das Verhältnis von arm und reich, Bonzen, Arbeitern und Hausfrauen. Er stiftet die Gemeinschaft der Guten und vermittelt diese zueinander im Kampf gegen das Böse. Zum Ziel – einem glücklichen Zustand – gelangen die Antisemiten jedoch nie. Denn die tatsächliche Ursache des gesellschaftlichen Unbehagens bleibt unerkannt. Anstatt das Kapitalverhältnis und das eigene Handeln als Teil von diesem zu reflektieren, wird immer wieder zur nächsten Aktion geblasen, da die letzte noch nicht den gewünschten Erfolg gebracht hat.

1.2. Weltweite Volksfront

Heute ist der Antisemitismus in Deutschland angesichts der Ereignisse des letzten Jahrhunderts weniger offenkundig. Zwar belegt erschreckenderweise eine neuere Umfrage des “Bielefelder Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung”, dass ein Fünftel der deutschen Bevölkerung der Ansicht ist, die Juden hätten zu viel Macht in Deutschland, doch von sich nichts wissend kommt der Antisemitismus in Deutschland und in der ganzen Welt als Antiamerikanismus, Spekulantenhass, in der kritischen Rede vom Raubtierkapitalismus und in der Man-wird-doch-wohl-mal-dürfen-Kritik an Israel bedrohlich zu sich. Eine insgesamt schlechte Welt wird von den Antisemiten in Gut und Böse unterteilt. Die Verständigung der Antisemiten erfolgt nicht über große Theorien, sondern über einige Stichwörter, die sich derzeit in Folge der Globalisierung zu einer Art One-World-Sprache formieren. Ohne große Reden wissen die Antisemiten schnell, wer an der gleichen Front kämpft: Begriffslose Chiffren wie Imperialismus, Raubtierkapitalismus, Spekulanten, Kriegstreiber, Profitgier, zionistische Aggressoren, Okkupation, Rassisten, Bush-Krieger, ökologischer Raubbau, Öl-Lobby und nur wenige mehr reichen aus, um sich des gemeinsamen Kampfes gegen gemeinsame Feinde zu vergewissern. So verwundert es nicht, wenn auf Friedensdemos Antifas, Grüne, Christen, PDS’ler, irakische Nationalisten, Hamasaktivisten und deutsche Neonazis gemeinsam aufmarschieren - zwar noch mit gegenseitigem Misstrauen, aber alle mit dem Gefühl: Das ist meine Demo.
Den “wirklich radikalen linken” Friedensbewegten mögen in nachdenklichen Stunden Zweifel kommen, wenn ihnen die Feuilletons, die Herren Ulrich Wickert und Gerhard Schröder, Mama und Papa und die Nazis auf einmal die Wörter aus dem Mund nehmen. In aktionistischen Stunden jedoch freuen sich die “wirklich radikalen linken” Friedensbewegten, dass so viele jetzt endlich mitmachen im Kampf gegen die “selbsternannten ‚Global Leaders’” für “Freiheit und Selbstbestimmung” (Linke StudentInnen Gruppe Leipzig). Und so freut man sich dann auch über das Wachsen der Gemeinschaft, wenn berühmte Leute das öffentlich sagen, was man nie so wirksam hätte unters Volk streuen können: Der Philosoph Peter Sloterdijk beispielsweise weiß, wer die “rogue states” sind: nämlich “die USA und Israel” Auch Claus Peymann, ein großer deutscher Theaterregisseur, sagt jetzt mal seine Meinung: “Die USA bringen uns gerade ein neues Mittelalter und mit Bush und Sharon ist die Finsternis gekommen”. Schröder fordert “Hände weg vom Irak”, der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der deutschen Industrie, Ludolf von Wartenberg, beklagt die “kompromisslose Haltung der Amerikaner” und in allen Feuilletons wird der “amerikanische Raubtierkapitalismus” verurteilt. Sicherlich gibt es viele Unterschiede innerhalb der Friedensbewegung. Uns geht es aber um die Kritik der Gemeinsamkeit innerhalb der Friedensbewegung. Und irgend etwas muss ja sinn- und bewegungsstiftend sein, sonst könnte sich eine Bewegung nicht konstituieren. Jene für die Friedensbewegung sinnstiftende Gemeinsamkeit bei linken, rechten, konservativen und islamistischen Friedenskämpfern besteht in dem Wahn, die Strippenzieher des Kapitals, die Mächtigen hinter dem Geld und die Zerstörer bestehender Ordnungen ausfindig zu machen und bestrafen zu wollen. Als Schuldige werden die gefunden, die westliche Dekadenz statt “organisch” gewachsene Gemeinschaft, Reichtum statt Armut, künstliche Zivilisation statt “ursprüngliche” Kultur und Raffgier statt Moral symbolisieren. Sowohl im Hass auf die Juden, als auch im Hass auf Israel auf die USA findet sich dieses nach kultureller Eigentlichkeit lechzende Denken wieder. Ob die Juden im letzten Jahrhundert als “Schmarotzer am fremden Volkskörper” angesehen wurden, oder heute das “künstliche zionistische Staatengebilde” Israel als “gieriger Eindringling in die arabische Welt” bezeichnet wird, ob den Amerikanern schon im 19 Jahrhundert “Bodenlosigkeit” und “Unsittlichkeit” vorgeworfen wurden, oder heute “Gier ohne Grenzen” attestiert wird, stets entlädt sich die Wut gegen die als Kulturzersetzer Halluzinierten. Die Affinität von Antisemitismus und Antiamerikanismus ist kein neues Phänomen, sondern lässt sich anhand einer Eintragung im Historischen Schlagwörterbuch von 1906 unter dem Begriff ‚Amerikanismus’ deutlich nachvollziehen: “Der ideallose amerikanische Mensch ... wird auch im alten Europa der Mensch der Zukunft sein; heute kann man schon im gewissen Sinne den Juden als Vertreter des Amerikanismus bei uns bezeichnen. Verjudung heißt eigentlich Amerikanisierung.”

1.3. Deutscher Antiimperialismus

Auch die Parole “kein Blut für Öl” hat ihre lange deutsche Geschichte. 1939 erschien das Buch “Ölkrieg” von dem nationalsozialistischen Erfolgsautor Anton Zischka. In diesem versucht er nachzuweisen, wie die imperialistische Gier des Westens nach Öl letztendlich kriegstreibend sei. Schon die Besetzung des Ruhrgebiets 1923 sei demnach ein vom Irak nach Deutschland verlagerter Kampf um Energieressourcen gewesen. Und dann klagt er den Imperialismus mit der Parole “Blut für Öl” an. Ob die heutige Friedensbewegung ihre Parole “Kein Blut für Öl” überliefert bekommen oder neu entdeckt hat, spielt keine Rolle. Die Ähnlichkeit ist vorhanden und kennzeichnet die Wiederkehr einer Argumentation, deren Gefährlichkeit einerseits darin besteht, dass sie verkennt, dass die Begierde nach billigem Öl nicht im Krieg, sondern an der Tankstelle beginnt, und andererseits so geschichtsblind ist, nicht zu wissen, dass weit schlimmere Geschehnisse als wirtschaftliche Interessenpolitik durch die kapitalistische Gesellschaft hervorgebracht wurden.
Nicht irgendeine “Charaktereigenschaft” à la Gier hat Schuld an der Akkumulation des Kapitals, sondern das Kapital ist ein gesellschaftliches Verhältnis, das alle reproduzieren und dem sie unterworfen sind. Begriffe wie Imperialismus und Globalisierung verklären die dem Kapital innewohnende expansive Dynamik, indem diese dem bösen Willen einzelner zugerechnet wird. So werden Staaten nicht als konkurrierende Verwalter des Kapitals, sondern je nach deren Rang im globalen kapitalistischen Platzierungskampf als Täter oder Opfer, als Imperialisten oder Antiimperialisten definiert. Die linken Antiimperialisten glauben mit Lenin einen marxistischen Analytiker als antiimperialistischen Kronzeugen zu haben. Lenin hat in seiner Imperialismustheorie entgegen Marx’ Kapitalanalyse (“Kapital ist die unmittelbare Einheit von Produkt und Geld oder besser von Produktion und Zirkulation.”(10)) Herrschaft nicht mehr als eine des Kapitals, welches als dialektisches Verhältnis, also in der Einheit einander ausschließender Momente verstanden werden muss, sondern als eine des Finanzkapitals gedacht. Bei Lenin ist der Imperialismus eine neue Herrschaftsform der Verschmelzung von Monopol und Staat zur sogenannten Finanzoligarchie. Er machte also aus dem apersonalen Herrschaftsverhältnis des Kapitals ein personales Verhältnis à la Herr und Knecht. Der heutige Antiimperialismus der deutschen Linken fällt jedoch noch mal hinter den Leninschen zurück, indem er sich aus der deutschen Überlieferung speist. Früher haben deutsche Antisemiten den Begriff Imperialismus hin und wieder anstatt Verjudung oder Amerikanisierung gewählt, um über die Bedrohung von “Volk, Nation und Kultur” aufzuklären, jenen wahnhaften Vehikeln, die helfen, den eigenen Staat nicht nur als Zweckinstanz atomisierter Konkurrenzsubjekte, sondern als natürliche Gemeinschaft zu begreifen. Im Januar 1939 hat Adolf Hitler sich als Antiimperialist hervorgetan, als er Folgendes in einer Reichstagsrede von sich gab: “Die Völker wollen nicht mehr auf den Schlachtfeldern sterben, damit diese wurzellose internationale Rasse an den Geschäften des Krieges verdient und ihre alttestamentarische Rachsucht befriedigt. ... Schaffende Angehörige aller Nationen, erkennt euren gemeinsamen Feind!” Der Feind aller friedliebenden Nationen ist laut Hitler das “jüdische Prinzip”. Anhand dieses Zitats lässt sich zudem verdeutlichen, dass das Wesen des Nationalsozialismus weder Kriegsgier, noch Hass gegen andere Kulturen war, sondern der Kampf gegen das wurzellose “jüdische Prinzip”, welches die Völker, nicht nur die Deutschen, in den Tod treiben würde. Heute gilt es antiimperialistischen Friedensengeln immer noch, Völker gegen die kriegerischen Geschäftemacher zu schützen - so Attac-Leipzig auf einer Demonstration in Leipzig am 15.10.2001: “Wie so viele Kriege zuvor, wird auch dieser Krieg gerechtfertigt im Namen von Freiheit und Demokratie, von Friedenssicherung und Zivilisation. In Wirklichkeit geht es wieder einmal um Kapitalinteressen. Es geht darum, sich den Weg zu neuen Erdöl- und Erdgasfeldern freizumachen. Nach Erkenntnissen der amerikanischen Heritage Foundation lagern in den zentralasiatischen Ländern Erdöl und Erdgas im Wert von rund 3 Billionen US-Dollar. Man sollte vielleicht auch wissen, dass Herr Bush in Entscheidungsgremien des Energiekonzerns Exxon sitzt und sein Wahlkampf von amerikanischen Erdölgiganten bezahlt wurde. Wieder einmal zeigt sich: Wer den wirtschaftlichen Interessen der USA und transnationaler Konzerne im Wege steht, der braucht plötzlich humanitäre Intervention. ... Am Samstag war ich auf der Demonstration in Berlin. Dort habe ich mich mit einer amerikanischen Journalistin unterhalten, die mir sagte, dass 95 % der Amerikaner den Krieg gegen Afghanistan befürworten, weil sie nicht wissen, dass es ihre eigene Regierung war, die diesen Hass in die Welt gesät hat.”
An Stelle der eigenen deutschen Kultur, die sich im Nationalsozialismus diskreditiert hat, treten andere durch den Imperialismus gefährdete Kulturkreise, um die heutige Antiimps trauern können. Auf diese Art werden aus Saddam Husseins Regime, palästinensischen Terrororganisationen und den Taliban wichtige Artefakte in der antiimperialistischen Völker- und Kulturensammlung, deren Bestand immer dann verteidigt wird, wenn die Gefahr durch diebische imperialistische Klauen ausgemacht ist. Dann heißt es pathetisch: “Solidarität im Widerstand, gegen Imperialismus und Zionismus.” (Motto zur Hafenstraßendemo vom 31.10.87). So führen die Deutschen ihren Kampf gegen die alten Feinde weiter und befriedigen je nach antiamerikanischer und antizionistischer Notwendigkeit ihr völkisches Bedürfnis, indem sie für andere Völker kämpfen. Während vor einigen Jahrzehnten Befreiungsbewegungen unterstützt wurden, deren Ende als bestenfalls bürgerliche Nationalstaaten mit den typischen bürgerlichen Implikationen noch nicht absehbar war, werden heute mit bestem Wissen solch faschistische Staaten und Gemeinschaften wie der Irak und die Taliban gegen die USA verteidigt.

2.1. Menschenrechte und Volkskampf

Egal was im Irak vor sich geht, welche Menschenrechtsverletzungen dort geschehen oder auch hinsichtlich des aggressiven militärischen Vorgehens nach innen wie außen, die Rezeption in Deutschland und der restlichen Welt, die Auseinandersetzung mit dem Thema Irak ist vorrangig eine reduzierte. Reduziert werden die Konflikte, die sich am Irak entspinnen, auf das Öl, von dem der Irak tatsächlich auch das zweitgrößte Vorkommen der Welt hat. Jedoch ist der Sachverhalt an dem sich gerieben wird nicht das Öl selbst. Vielmehr ist es die Grundwahrheit, dass die USA ein großes Interesse am Öl haben und dieses auch mit Waffengewalt unter Beweis stellen - woran sich mit Regelmäßigkeit die Gemüter erhitzen. Vorgeworfen wird den USA und ihren Bündnispartnern dann immer, sie seien imperialistisch und blutrünstig, eben die Verkörperung des ideell-bösen Kapitalisten schlechthin.
Vorrangig die Friedensbewegung und die Linke, explizit in Deutschland, entdecken im Golfkonflikt das irakische Volk immer wieder neu. Als Anwalt aller Völker und auf die Menschenrechte pochend wird die objektive Kategorie Volk in Stellung gebracht gegen amerikanischen Imperialismus. Subtext ist dabei, es prallten in dem Konflikt antagonistische Prinzipien aufeinander: Selbstbestimmungs- und Volksrecht auf der Seite des Iraks gegen bürgerlichen Universalismus und Kapitalismus der USA. Der Kapitalismus wird personifiziert, indem er als Verhältnis von Unterdrückern und Unterdrückten gedacht wird. Diese Logik entspringt aber keiner Gesellschaftskritik, sondern ist Ideologie.
Mit der Ablehnung des “zügellosen Raubtierkapitalismus” schlägt sie sich auf die Seite des gebändigten “rheinischen Kapitalismus” und steht für den gemeinschaftlichen Ruf der Subjekte nach über den Staat vermittelter Gleichheit.
Damit solche Ideologie sich nicht gleich von selbst als falsch entlarvt, muss die wirkliche Situation im Irak zwangsläufig unter den Tisch fallen. Sei es 1991 oder im Hinblick auf den sich jetzt anbahnenden 3. Golfkrieg: Obwohl Saddam Hussein als notorischer Diktator verschrien und von einem freien selbstbestimmten oder gar homogenen irakischen Volk überhaupt nicht die Rede sein kann, ist man links wie rechts und bei der Friedensbewegung auf der Seite des irakischen Volkes und Saddam Husseins. Die USA geben dabei das Feindbild ab, wobei der Antiamerikanismus nie eine Kritik der wahren Verhältnisse darstellt, sondern bloßes Ressentiment ist.
Treibt die USA aber nicht nur die “Gier nach dem Öl” an, sondern auch für sie geopolitisch nachteilige Entwicklungen, durch die Verschlechterung der Beziehungen zu Saudi-Arabien etwa, könnten sich im Falle einer Intervention im Irak mehrere positive Nebeneffekte einstellen. Der Paradigmenwechsel in der US-Außenpolitik hin zu “Nationbuilding” und der “Stärkung freier und offener Gesellschaften” deutet in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die USA gerade das Richtige tun. Zwar tun sie dies aus falschen Gründen, aber weshalb sollte man sich im Hinblick auf das zu erwartende Ergebnis ihrem Tun verweigern?

2.2. Situation im Irak

Denn jede Intervention, die den mörderischen Status quo im Irak beseitigte, aus welchen Motiven auch immer, wäre eine zu Begrüßende. Für die Bedingung der Möglichkeit von Emanzipation im Irak gibt es letzten Endes keine andere Hoffnung als eine gewaltsame Beseitigung von Saddams Regime(11). Eine geduldete, eigenständige Opposition gibt es im Irak nicht mehr, seitdem Saddam Hussein und der irakische Ba'thismus ihre totalitäre Herrschaft durchgesetzt haben. Und auch das Entstehen einer neuen handlungsfähigen Opposition wird im ba'thistischen Staat systematisch verhindert.
“Das irakische Regime befindet sich in einem ständigen Kriegszustand mit realen oder erfundenen Feinden von außen, der sich in der Regel gegen die eigene Bevölkerung richtet.”(12) Die Einheit und das Funktionieren der Gesellschaft stellt sich über eine perfekte Überwachungs- und Denunziationsmaschinerie her, deren Wirksamkeit sich auf Repression, Folter und Mord gründet.(13)
Hunderttausende irakische Staatsbürger, egal ob Kommunisten, Liberale und Kurden wurden seit Saddams Amtsantritt 1979 ermordet und vertrieben. Das Land wird regiert wie im Belagerungszustand, militärische Sondereinheiten und Sicherheitsdienste agieren aus Festungen und Sicherheitszonen heraus, die den gesamten Irak, abgesehen von der nördlichen Flugverbotszone, durchschneiden.
Organisiert ist die Gesellschaft als Parteigesellschaft. Die Ba'th-Partei, die Hegemonie über alle gesellschaftlichen Bereiche ausübt, soll die ursprüngliche Gemeinschaftlichkeit des gespaltenen irakischen Volkes wiederherstellen(14). “Einheit des irakischen Volkes besteht zumindest insofern, als konkrete persönliche Ziele, wie die Sicherung des Existenzminimums und das Überleben, nur in Beziehung zum Ba'th-Staat und seinen Parteistrukturen erreichbar sind.”(15) Parteimitgliedschaft und Loyalität gegenüber Führer und Partei legitimieren den sozialen Stand des Einzelnen. “Es existiert kein friedvolles Feld für den Rückzug der Individuen, nicht nur, weil in jeder Wohnung das Bild des Souveräns an der Wand hängt und symbolisch das Verhalten der einzelnen beobachtet, sondern auch, weil die geheimen Parteiorgane alles beobachten und überwachen.”(16) Die Autonomie des Individuums steht strengstens unter Verbot, “außerhalb der Partei soll kein Leben möglich sein.”(17)
Große Teile der Bevölkerung sind von der Verwertung abgeschnitten. Die ehemals staatlichen Betriebe sind im Besitz der Angehörigen der Herrscherfamilie und meist entweder auf den Export oder militärische Produktion ausgerichtet. Die Versorgung mit Lebensmitteln funktioniert nicht und die Landwirtschaft liegt darnieder, weil das ba'thistische Regime vor dem 2.Golfkrieg allein auf die Gewinne aus dem Erdölexport setzte. Die meisten benötigten Waren des alltäglichen Bedarfs wurden nicht selbst hergestellt, sondern importiert.
Die Sanktionen, die, wohlgemerkt nicht von den USA, sondern der UNO, nach dem 2. Golfkrieg gegen den Irak verhängt wurden, werden direkt auf Bevölkerung abgewälzt und dienen gleichzeitig zur Selbstentschuldigung des Ba'th-Regimes.
Als Ende der 80er Jahre die Ba'th-Partei auf dem Zenit ihrer Macht angelangt war, beschäftigte sie zwei Drittel der Irakis in Staatsdiensten. Mit dem Wegbrechen der hohen Ölrente seit dem zweiten Golfkrieg fiel das defizitäre Sozialsystem aus und wurde abgelöst durch verstärkte, offene Repression. Die Verantwortung für die permanenten Krisen werden auf das feindliche Außen (Israel, USA) und deren “Agenten” im Inneren verlagert. Konflikte und Widersprüche glättet der Ba'thismus, indem er sie als Konflikt zwischen der Nation und ihren Feinden interpretiert. Durch diese Darstellung wird innerhalb der Nation alles eins und ununterscheidbar, Saddam Hussein kann als Kurde, Sozialist, Modernisierer, als irakischer, arabischer und islamischer Führer auftreten, ohne das dies als Widerspruch empfunden würde.
Der ursprüngliche Mythos der Bath-Partei als revolutionärer Volksbewegung ist mittlerweile völlig dem Motiv der Behüterin des von Feinden bedrohten arabischen Volkes gewichen. Die Geheimdienste sind die wichtigsten und mächtigsten Instanzen des Staats, die Schaffung von Phantom-Feinden dient der Inszenierung von Säuberungswellen gegen wirkliche Gegner. Immer wiederkehrende öffentliche Hinrichtungen von “Spionen” prägen den das Bild des militarisierten Alltags(18). Ebenso prägend sind die Groß-Abbildungen auf allen größeren Plätzen des Irak, die die quasi-religiöse Führerfigur Saddam omnipotent und allgegenwärtig erscheinen lassen.

2.3. Die Ideologie des Ba'thismus

Das Selbstverständnis des Panarabismus, auf dem der Ba'thismus fußt, ist “antagonistischer Kampf zwischen den um Unabhängigkeit ringenden Arabern (oder Moslems) und einer von außen implementierten Ordnung (Israel, Imperialismus, “Verwestlichung”, etc.)”(19). Die arabischen Nationalstaaten werden selbst als künstlich und als durch den Kolonialismus bedingte Aufspaltung in Frage gestellt. Spezifisch für den irakischen Ba'thismus ist dabei, sich auf den Mythos einer glorifizierten arabischen Vergangenheit zu beziehen, nach welchem die irakische Nation als direkte Erbin eines erfundenen babylonisch-mesopotamischen Großreichs, sozusagen “Keimzelle” eines noch zu verwirklichenden großarabischen Staats sei. Dieser Prozess der Herstellung einer “Supergemeinschaft” durch “nationale Einheit”, mit einem (Super-)Führer an der Spitze, wird als revolutionär begriffen. Revolution heißt dabei Sturz der alten, pluralen und heterogenen Gesellschaft und Schaffung absoluter Homogenität, die sich durch Verschmelzung von Partei und Volk einstellen soll. ”Die Partei versteht sich dabei selbst als Werkzeug der notwendigen Homogenisierung, während umgekehrt die Mitgliedschaft in der Partei den Beweis für individuellen Patriotismus liefert.”(20)
Dadurch dass die Ba'th-Partei die Gesellschaft vollständig durchdringen will und sich als politische Gemeinschaft über jede Art “ethnischer” oder konfessioneller Gemeinschaft – ganz abgesehen von individueller Besonderheit - erhebt, wird der Zugehörigkeitsstatus zur Partei zum entscheidenden Kriterium. “Ethnische”, religiöse und andere ideologische Parteien und Gruppen werden deshalb bekämpft oder versucht in die “Supernation” Ba'th-Partei zu integrieren.
Das Ba'th Regime im Irak beruft sich seit jeher auf verschiedenste Ideologiefragmente, die je nach Situation als Sozialismus, Antiimperialismus, Volkskrieg, Unabhängigkeit und Befreiung in figurieren. “Im Kern ging es der Ba'th-Partei weder um Unabhängigkeit, noch um Wohlstand für alle, sondern um die Zerschlagung aller bestehenden sozialen und wirtschaftlichen Strukturen, die sich der Kontrolle der Ba'th-Partei entzogen.”(21) Der “arabische nationale Sozialismus” der Ba'th-Partei forcierte die Nationalisierung aller von ausländischen Firmen kontrollierten Wirtschaftsbereiche. Vor allem drehte sich der “Kampf gegen fremde Herrschaft” um die ausländischen Ölförderer im eigenen Land, die nach dem Motto “arabisches Öl in arabischen Besitz” enteignet wurden. Die Ba'th-Partei, die seitdem sie sich an die Macht geputscht hatte, selbst keine Bewegung vertrat, machte sich die Eigendynamik des Kampfes um ein arabisches Palästina zunutze und begründete von Anfang an jede politische Handlung auf einer “Bedrohung durch den Zionismus”(22). Zur Abgrenzung gegenüber der damals noch existenten kommunistischen Massenbewegung, die auch groß-arabisch orientiert war, wurden Kommunismus und Zionismus als Feindbild miteinander verbunden, die kommunistische Partei des Iraks Mitte der siebziger Jahre zerschlagen.
Der Irak ist ein stalinistischer Schurkenstaat, mit national-sozialistisch ausgerichteter Staatsideologie. Es existiert keine homogene Volksgemeinschaft, sondern eine mit brachialer Gewalt repressiv zusammengehaltene Einheitsparteiengesellschaft mit einer Herrscherclique an der Spitze, die aus Saddam und dessen Verwandten besteht.
Der Aufbau von Bedrohungsszenarien durch Massenvernichtungswaffen gegenüber Israel(23), die moralische wie finanzielle Unterstützung der palästinensischen Islamisten, stehen in diesem Kontext für den antisemitischen Wahn seines Diktators Saddam Hussein. Dessen Beseitigung wäre ein Glück für Israel, wie auch für die irakische Bevölkerung. Sollten im Falle eines Einmarschs von amerikanischen Soldaten die Bilder von Irakern, die ihren Befreiern zujubeln um die Welt gehen – Sowohl die panarabische als auch die islamistische Ideologie samt ihrem Klischee vom Dämon USA wären bloßgestellt. Die Friedensbewegung und ihr linker Anhang natürlich auch..

2.4. Einheit in der Verschiedenheit

Auf die Frage nach dem Verhältnis zu “Bin Ladens Aufruf zum Heiligen Krieg gegen Amerika” sagte der Vizeminister des Irak, Ramadan: “Der Irak hat keinerlei Appelle Bin Ladens nötig. Die irakische Regierung propagiert selbst den Kampf gegen die amerikanischen Hegemoniepläne und die Ambitionen der Zionisten. Sie werden in den Reihen von Qaida nicht einen einzigen Iraker finden.”(24)
Mit dieser Antwort machte Ramadan die Gemeinsamkeiten von ba'thistischem Panarabismus(25) und Islamismus recht deutlich. Gemeinsam ist beiden Ideologien ein zentrales, homogenes Feindbild. Halluziniert wird von beiden eine zionistische Weltverschwörung, deren Protagonisten Israel und die USA sein sollen. Gefürchtet wird eine fremde, “kulturelle und militärische Hegemonie” nicht nur im eigenen Land, sondern eben im gesamten (pan-)arabischen Raum. Israel gibt für diese Vorstellung von Bedrohung die Projektionsfläche ab. Der jüdische Staat, der sich auf “ursprünglich palästinensischem und arabischem” Gebiet breitgemacht hätte, wird als störender Fremdkörper empfunden.
Aus dem als revolutionär interpretierten “Freiheitskampf der Palästinenser” gegen das “künstliche Gebilde” Israel und die Juden ziehen arabische Nationalisten wie die Ba'thisten so auch einen großen Teil ihrer Identität. Für die islamistische Bewegung ist der antijüdische Kampf Ausgangspunkt und zentrales Motiv(26). Dieser “Kampf” ist eliminatorischer Antisemitismus. Ziel ist das wahllose Töten von möglichst vielen Juden und die Vernichtung des Staates Israel. Über den antisemitischen Wahn sind Ba'thismus und Islamismus miteinander vermittelt. Sie bilden so in ihrer Verschiedenheit dennoch eine Einheit.

2.5. Islamismus

Wesentliches Merkmal, das den Islamismus vom ba'thistischen Panarabismus unterscheidet, ist die Ausrichtung auf den Djihad. Wo für den Ba'thisten das Aufgehen in der Parteistruktur an erster Stelle steht, ist für den Islamisten der Märtyrertod die Erfüllung “vollständigen Glücks”. Dieser totale Reflexionsausfall hat nicht mehr die Verbesserung der eigenen realen Lebensbedingungen im Blick, sondern nur noch Aufopferung für die Gemeinschaft der Gläubigen und den Kampf gegen das als das Böse Halluzinierte. Die Gefährlichkeit des Islamismus liegt aber nicht nur im Wahn der antisemitischen Selbstmordbomber begründet, sondern vielmehr in der über die Jahre gewachsenen und radikalisierten Massenbasis. Diese konzentriert sich in der arabisch-islamischen Welt des nahen und mittleren Ostens. Es handelt sich dabei um das Transformationsprodukt des politischen Islam, der gesellschaftliche Krisenerscheinungen politisierte. Der heute noch existierenden Muslimbrüderschaft, die zur Hochzeit des deutschen Nationalsozialismus ihren Aufschwung in Ägypten nahm und sich während der Zeit der ersten großen Weltwirtschaftskrise gründete, kommt in diesem Zusammenhang zentrale Bedeutung zu. Mit ideologischer und finanzieller Schützenhilfe des “großen Bruders” aus Nazi-Deutschland übernahm sie Versatzstücke des europäischen Antisemitismus in ihr Programm. Sie postulierte die Rückkehr zum “wahren” Islam, sprich zu einer erneuten wörtlichen Anwendung des Korans und prangerte Individualismus, Sinnlichkeit, Luxus und Vernunft an, weil solches auf die islamische Gemeinschaft (die “umma”) zersetzend wirke, und als “jüdisch” angesehen wurde. Die Neuentdeckung des kriegerischen Djihad und der Todessehnsucht als Leitideal des Märtyrers fand zu dieser Zeit statt. “Die judenfeindlichen Passagen des Koran wurden mit den antisemitischen Kampfformen des Dritten Reichs verknüpft und der Judenhass als Djihad ausagiert.”(27) Mit den zunehmenden Auseinandersetzungen zwischen zionistischen Siedlern und Palästinensern rückte der militante Kampf gegen die Juden ins Zentrum des ursprünglich nach innen gerichteten Djihad. Spätestens seit der Gründung Israels und der Niederlage im 6-Tage-Krieg bestimmte sich der Zusammenhalt der arabischen Welt nicht über Religion, sondern über den Widerstand gegen den Zionismus. Das Gefühl der kollektiven Unterlegenheit, das seit den Tagen des Kolonialismus schon vorhanden war, wurde neu belebt und trug zum Zusammenschweißen des antisemitischen Kollektivs bei. Die Feindschaft zu Israel und der Hass auf die Juden ist damit bis heute wichtigste gemeinsame Klammer.
Der Antisemitismus ist so nicht Beigabe, sondern als Kern des modernen Djihadismus zu verstehen. Israel wird Fremdkörper im “Haus des Islam” wahrgenommen.
Die sich dahinter verbergende Denkform ist der Hass auf die Differenz und der Zweifel an Gott. Der Hass wendet sich gegen Kommunisten, den Westen, Hedonisten, Homosexuelle, Zionisten oder christlichen Missionare. Weltverschwörungstheorien über “jüdisches Gold”, “zionistischen Einfluss”, “vom Zionismus dominierte” Meinungs- und Unterhaltungsindustrie, die sich weitergehend gegen die USA als “Unterstützer der Zionisten” richten, sollen die Widersprüche des islamistischen Weltbilds glätten. Die Wunschvorstellung einer egalitären Volksgemeinschaft auf Basis der früh-mittelalterlichen Scharia und der Wunsch nach einem Groß-islamischen Reich stehen dabei im Hintergrund. Obwohl sich der Islamismus auf die alten Traditionen des Islam beruft, ist er eine moderne Ideologie einer anti-modernen Bewegung.

2.6. Kampf gegen den Islamismus und das Ba'th-Regime

Dass Islamismus reaktionär ist und deswegen bekämpft werden muss, liegt so klar auf der Hand, dass das gegenwärtige Lamento darüber äußerst fragwürdig erscheint. Um die Wahrheit über ihn zu verbreiten, muss man den Islamismus denunzieren, da er zumeist verklärt wird. Andererseits werden die Begriffe Faschismus oder Nationalsozialismus nur verkürzt oder falsch gedacht, weshalb sich gegen eine Anwendung dieser Begriffe auf den Islamismus gesträubt wird.
Entscheidend ist im Fall des Islamismus die Wesensverwandtschaft zum deutschen Nationalsozialismus, dessen Kern der eliminatorische Antisemitismus war. Wo der Antisemit die Juden nicht wie in der Shoa industriell vernichten kann, sucht er sich notwendig andere Wege um an sein wahnsinniges Ziel zu gelangen. Könnten die Islamisten auf andere Möglichkeiten zurückgreifen, um die von den Nazis forcierte “Endlösung” durchzuführen, sie würden es tun. Deshalb sollten Hamas, PLO und Fatah, al Quaida, Islamischer Djihad und Saddam Hussein auch zu dem stigmatisiert werden, was sie sind: Nazis, die in ihrem maßlosen Vernichtungswahn immer erst zur ganzen Tat aufrufen.
Das Feindbild Amerika dient wie beschrieben aber zusammen mit Israel zunächst einmal nur als Projektionsfläche. Viel entscheidender ist, das der islamistische Wahn sich gegen alles richtet, das vom islamistischen Vorstellungsideal abweicht. Objekt des Tötungs- und Vernichtungswahns sind also zuallererst Juden, die USA und all jene, die mit dem American way of life und dem “jüdischen Prinzip” identifiziert werden.
Worum es deshalb derzeit geht, ist in ganz pragmatischer Hinsicht das organisierte Funktionieren des Islamismus zu verunmöglichen. Damit würde Israel eine Atempause zu verschafft, die so wichtig ist, weil keine Gesellschaft permanenten Bombenterror auf Dauer erträgt, ohne daran zu zerbrechen
Dem Islamismus seiner materiellen Möglichkeiten zu berauben, seine Geldhähne abzudrehen, seine Kader auszuschalten und der ideologischen Hassproduktion den Riegel vorzuschieben, sind deshalb unterstützenswerte Handlungsziele. Wer das nicht einsehen will, hört das Heulen der Sirenen nicht und will auch das Offensichtliche nicht wahrhaben. Mit Tomaten auf den Augen und Pfropfen in den Ohren wird man aber keiner Barbarei entkommen, sondern immer nur ihr Steigbügelhalter sein.

Fußnoten:
(1) Dan Diner, Feinbild Amerika – Über die Beständigkeit eines Ressentiments, S. 24
(2) Samuel Beckett, Spiel
(3) Karl Marx, Das Kapital Bd. 3, Kap. 51
(4) Alle folgenden Zitate entstammen der zweiten These des Aufsatzes “Elemente des Antisemitismus” aus dem Buch “Dialektik der Aufklärung”.
(5) “als die Verteidiger der Wahrheit, als die Erneuerer der Erde, die auch den letzten Winkel noch reformieren müssen.”
(6) Marx, MEW 23 – Kapital Bd.1, S.169
(7) Horkheimer und Adorno, Elemente des Antisemitismus in: Dialektik der Aufklärung
(8) Karl Marx, MEW 23 - Kapital Bd. 1, S. 169
(9) Horkheimer und Adorno, Elemente des Antisemitismus in: Dialektik der Aufklärung
(10) Karl Marx, Grundrisse, S.238
(11) Verhandlungen mit dem Regime würden den alltäglichen Krieg gegen die Bevölkerung fortsetzen, da sie den Fortbestand der Diktatur als Herrschaftssystem voraussetzen. Vor diesem Hintergrund wird auch der formale Schutzmechanismus, den das Völkerrecht seinen Subjekten, den Nationalstaaten, garantiert, nämlich die Unantastbarkeit der Souveränität, zum Unrecht. Freiheit von Krieg und willkürlicher Unterdrückung herrscht im Irak nur, wo das internationales Recht auf politische Souveränität des Irak ausdrücklich unterminiert ist: im kurdischen Nordirak, wo das Regime vorübergehend die Kontrolle verloren hat.
“Einzig im Nordirak konnte sich aus der Angst der Nachbarländer vor einer Destabilisierung ein selbstverwaltetes Autonomiegebiet etablieren, in dem die Menschen zumindest außerhalb der unmittelbaren Herrschaft Saddam Husseins leben können. Aus dieser Perspektive - nicht aber aus jener, die den Krieg gegen das Hussein-Regime und damit dessen Sturz apodiktisch ablehnt - erschließt sich die Tragik der irakischen Opposition, die auf die Unterstützung eines interessierten Dritten angewiesen ist, um das hochmilitarisierte Regime zu stürzen: Ein besserer Dritter als die USA ist derzeit nicht zu haben.” (Mustafa Alani, Mitarbeiter des Londoner Royal United Services Institute).
(12) Osten-Sacken/Fatah: Saddam Husseins letztes Gefecht. Hamburg 2002. S. 12
(13) Das Foltern von Kindern (Herausdrücken von Augen) zur Gewinnung von Informationen über Eltern wurde von Amnesty International berichtet, Deserteuren und Dieben werden Ohren abgeschnitten und die Hände abgehackt, glühende Eisen auf die Stirn gedrückt und bei erneuten “Verfehlungen” werden sie öffentlich hingerichtet (Kanan Makia. In. Osten-Sacken/Fatah: Saddam Husseins letztes Gefecht. Hamburg 2002)
(14) Ba'th = “Auferstehung”
(15) Osten-Sacken/Fatah a.a.O. S. 67
(16) Osten-Sacken/Fatah a.a.O. S. 64
(17) Osten-Sacken/Fatah a.a.O. S. 63
(18) So wird Gewalt permanent verherrlicht, neben dem Riesenheer Saddams soll sich die Bevölkerung in paramilitärischen Gruppen organisieren. Das Staatsorgan “al-Jumhurriah” erklärte 1991, jede irakische Mutter müsse ihrem Kind schon als Säugling beibringen, wie man schießt, kämpft und heldenhaft stirbt.(Offra Bengio: Saddams Words. S.147)
(19) Osten-Sacken/Fatah a.a.O. S. 74
(20) Osten-Sacken/Fatah a.a.O. S. 61
(21) Osten-Sacken/Fatah a.a.O. S. 92
(22) Internationale Sicherheit könne erreicht werden, wenn sich die USA endlich rational verhielten und ihre “teuflische Allianz mit dem Zionismus” lösten (Open letter from Saddam Hussein to the American people, September, 2001)
(23) “Saddam repräsentiert die Vorstellung einer arabischen Politik der Stärke, die sich durch die hochgerüstete Gegnerschaft zu Israel definiert. Er ist die Speerspitze all jener Autokratien im Nahen Osten, die ihre tyrannische Herrschaft durch die Notwendigkeit der Rüstung gegen Israel legitimieren.” (irakischer Oppositionspolitiker Kanan Makiya, Die Zeit, 24.09.2002)
(24) DER SPIEGEL 42/2002
(25) Eigentlich ein schwammiger und wenig inhaltsvoller Begriff, der unterschiedlich ausgelegt und begründet wird: an sich steht er nur für die Idee eines arabischen Großreichs; unter dem Slogan “arabische Einheit” konnten sich deshalb auch antikolonial-sozialrevolutionären Gruppen, wie die atheistische irakische KP einfinden, während der ursprüngliche Panarabismus dem Islam entsprang
(26) Al Quaida bspw. wurde von Bin Laden allein zum Zweck der Befreiung Palästinas gegründet
(27) Mathias Küntzel: Djihad und Judenhaß. Über den antijüdischen Krieg. Freiburg 2002. S. 10

Dezember 2002
Antideutsch-Kommunistische Gruppe Leipzig
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