Die Linke macht Staat

Zur Kritik der friedensbewegten Zivilgesellschaft und ihrer linksradikalen Belehrer


Als die Saddam-Hussein-Statue in Bagdad gestürzt wurde und Tausende Bagdader Menschen plündernd durch die Paläste des Baath-Regimes, die deutsche Botschaft, staatliche Museen und irakische Kasernen zogen, haben wir zwar nicht mit dem für den Kommunismus kaltgestellten Champagner, aber mit einem nicht ganz schlechten Sekt angestoßen. Zu den berauschenden Bildern von Menschen, die die Möglichkeit genossen, sich auch ganz privat und leibhaftig an den Symbolen von mehreren Jahrzehnten Regimeherrschaft zu rächen und zu bereichern, kam unsererseits der ersehnte Zeitpunkt, nicht mehr von Kommilitonen, Verwandten, „Genossen“, Zigarettenverkäufern, DJ’s in unserer Lieblingsdisko, Fernsehreportern und den vielen Anderen wegen der „schrecklichen Kriegsereignisse“ angequatscht zu werden. Der Sekt galt somit auch dem Kriegsresultat, dass Deutschland seinen Krieg verloren hat.
Die Freude kam auch darüber zustande, dass all die Prognosen, von denen man anfing sich dumm machen zu lassen, weil sie vom Talkshowhopser Scholl-Latour, von den faktensicher wirkenden Militärexperten auf allen deutschen Kanälen, von Krisentheoretikern aus Nürnberg und ebensolchen aus Leipzig, von den Politikwissenschaftlern des Bündnis gegen Rechts Leipzig (BgR) und von Mami und Papi permanent heruntergeleiert wurden, nicht eingetreten sind: Hunderttausende Tote, Flächenbrand, Häuserkampf, Seuchen, verbissen kämpfende republikanische Garden, brennende Ölfelder, palästinensische Selbmordattentat-Serie, einmarschierende Türkei, eingreifender Iran, erneute Unterdrückung der irakischen Bevölkerung etc. pp. Doch war das Nichteintreten dieser so schrecklichen wie sachlich vorgetragenen Prognosen ein Zufall der Geschichte oder waren vielmehr die Prognosen dem Nährboden deutschen Bewusstseins entsprungen, welches das beschwört, was es von den „hysterischen arabischen Massen“ und den „kaltblütigen Amerikanern“ erwartet? Die Diskrepanz zwischen den erwarteten 100.000 Toten und den 3.000 Toten der Realität müsste schon auf einem ziemlich großen Zufall der Geschichte gründen, so groß, dass die deutschen Experten des Militärs und der internationalen Politik in den Stand der Kaffeesatzleser aufgenommen werden sollten. Es übertraf bei weitem noch unsere Erwartungen – und wir werden von anderen wegen unserer pessimistischen Erwartungen gerne als paranoid und verrückt bezeichnet –, wie sehr deutsches Bewusstsein vom Boden der Realität entfernt ist.
Wider diese Erfahrung mundete der Sekt zudem gut, weil die Befürchtung, es gäbe unter der irakischen Bevölkerung einen dezidiert antiamerikanischen Konsens, nicht bestätigt wurde. Statt dessen ist es so, dass nicht nur das barbarische Baath-Regime und mit ihm die gnadenlose Herrschaft über die irakische Bevölkerung und eine der Bedrohungen für Israel passé, sondern sogar demokratische und föderale Verhältnisse im Irak möglich sind.
Rationales Denken – das Abwägen von Kosten und Nutzen – wurde in Deutschland und anderswo vor dem Irak-Krieg und währenddessen vollends stillgestellt. Das was dem Common Sense am eingängigsten wäre, dass ein Krieg im Falle des Iraks den Menschen dient, wurde und wird als Zynismus und Barbarismus abgelehnt. Die Moral von der Geschichte: Um sich nicht dumm machen zu lassen, darf man weder der Politik der federführenden EU-Staaten, noch der Linken über den Weg trauen – den Deutschen sowieso nicht.
Doch manchmal ist die Realität gegen den Wahn so überwältigend, dass sie sich selbst dem Organ aller drei Institutionen, der TAZ, in die Zeilen zwingt, wenn sie auch von einem Wunder reden muss, angesichts des sich zügelnden „arabischen Temperaments“.

„Nordkorea schlägt Lösungen zur Beendigung der Atomkrise vor. Syrien ist zur Wiederaufnahme von Friedensgesprächen mit Israel bereit. Die Palästinenser wählen ihren ersten Premierminister. Und die arabischen Völker haben sich auch nicht zu einem gewaltigen antiamerikanischen Protestschrei vereint.“ (Tageszeitung, 1.5.’03)

„Abgesehen von Spannungen ... ist es (im Irak) relativ ruhig geblieben. Ein Wunder angesichts der Tatsache, dass fast jeder Iraker bewaffnet ist und dass es für einige Gruppierungen kein Problem wäre, jeden Tag ein halbes Dutzend Selbstmordanschläge auf die ‚ungläubigen Besatzungstruppen‘ zu befehlen.“ (Tageszeitung, 6.5.’03)

Deutsche Beschwörung

Nachdem der Antiamerikanismus in der Friedensbewegung – nicht nur in der auf den Straßen, sondern auch in der an den Wohnzimmertischen, in den Medien, in den Hörsälen, in den Sportvereinen, in den Kirchen und in der Regierung – manifestiert und damit in schrecklicher Weise offensichtlich wurde, ist nun der Antiamerikanismus zur Latenz verurteilt, da all die Szenarien, die sich die Antiamerikanisten zur Bestätigung ihres Feindbildes heraufbeschworen haben, nicht eingetreten sind. Die Frage ist, wie das Bedürfnis, das sich im massiven Antiamerikanismus ausdrückte, sich zukünftig realisiert? Die Rückzugsgefechte und Verbitterungen der antiamerikanischen Bewegung sind offensichtlich. Die Plünderungen im Irak werden von den Friedensheinis – von denen an den Stammtischen bis zu denen in den Medien – nicht als berauschendes Fest nach mehreren Jahrzehnten Regimeherrschaft, sondern als „barbarisches Chaos“ (Tageszeitung) dargestellt, welches die Unfähigkeit des irakischen Volkes, Ordnung und Gemeinschaft demokratisch und führerlos zu leben, und damit die Unfähigkeit zu einem gehorsamen und kollektiven Kampf gegen die angloamerikanischen Besatzer nachträglich dokumentieren soll. Weil sich den Deutschen sowohl ihre verwünschte NS-Vergangenheit als auch ihr nicht vergehender Wunsch nach erbarmungslosem Kampf ständig spiegelbildlich in den „Schandtaten“ der ewigen Feinde darstellen muss, zieht es die deutschen Journalisten auf ihrer Suche im „besetzten Irak“ obsessiv zu hungernden Kindern, Ausgebeuteten und Kriegsopfern. Zudem suchen sie, diese deutschen Ideologen, verzweifelt nach Anzeichen für neue Kriege, damit das was prognostiziert war, nun doch noch eintreten möge. Keine Sekunde ist es ihnen möglich sich zu freuen, dass das, was sie in ihrem Wahn beschworen hatten, nicht so kam. Die radikale antiimperialistische Linke trottet jetzt wieder in kleinen Demos zusammen mit Althippies und Stalinisten durch die Kieze, um über die schreckliche amerikanische Besatzung aufzuklären. Die anderen Friedenskämpfer verschwinden dorthin zurück, wo sie hergekommen sind: in ihren spießbürgerlichen Alltag, in dem sie als Gekränkte, Verfolgte und Unterbewertete wieder gegen Nachbarn, Jugendliche und Verwandte wettern, solange bis sie wieder von einer Bewegung erheischt werden, die sie als Linke, Bürgerrechtler und Christen im Hass auf das Böse eint, wie es die Friedensbewegung tat. In Deutschland hat sich in ihr die Volksgemeinschaft und weltweit in ihr die Gemeinschaft der Völker und Geknechteten gegen die US-amerikanische Administration formiert, welche dem antiamerikanischen Ressentiment der Idealtyp der „amerikanischen Unkultur“ ist. Die Bewegung für Ruhe und Frieden ist eine Entgiftungskur des deutschen Citoyens gewesen, welche die Gemeinschaft des Volkes und die der Völker vom Bourgeois reinigen sollte. Die sogenannte deutsche Zivilgesellschaft ist die der wahnhaften Citoyens, jener Staatsbürger, welche die ungetrübte Gemeinschaft wollen, indem sie ihren immanenten bourgeoisen Charakter im „jüdischen Prinzip“, welches nach Auschwitz nicht mehr so benannt aber über Israel, die USA, die Zigarettenmafia etc. vermittelt gedacht und bezeichnet wird, bekämpfen. Als solche ist die Zivilgesellschaft auch das Gegenteil von dem, was das BgR vor anderthalb Jahren irrend als „imperialistisches Projekt“ definierte, „das zur Definition von Situationen genutzt werden kann, in denen kapitalistisch-bürgerliche Ordnung militärisch durchgesetzt werden soll.“ Die deutschen zivilgesellschaftlichen Massen sind keine von einem imperialistischen Staat in Szene gesetzten bewussten oder unbewussten Kämpfer für „Imperialismus“ und die „kapitalistisch-bürgerliche Ordnung“, sondern zu sich kommende Deutsche, die selbstbewusst die geglaubten Feinde ihrer Gemeinschaft und der natürlichen Ordnung, die aus Völkern, Nationen, Ethnien, Kulturen bestehe, bekämpfen wollen. Typisch deutsch sind die Massen in der Friedensbewegung als Antikapitalisten und Antiimperialisten zu sich gekommen.
Kommunistische Kritik muss gegen antiamerikanische Aufmärsche vorgehen, um das Bedürfnis nach deutscher Gemeinschaft anzugreifen, also die nach Auschwitz zum kategorischen Imperativ gewordene Kritik an Verstaatlichung des Denkens und Kollektivsehnsucht leisten. Wer mit der Friedensbewegung paktiert – belehrend und problematisierend –, anstatt sie zu bekämpfen, verkennt deren volksstaatlichen Charakter und wird ihr Eigen: als Teil der sogenannten Zivilgesellschaft.

Beschwörung der Massen

Die deutsche Friedensbewegung hat sich auf linken Sohlen in die Reihe jener jüngsten Ereignisse eingereiht, in denen auf der Straße der Wille des Volkes formuliert wurde und welche deutschen Staat machten: „Die Mauer muss weg“ ('89), „Deutschland zeigt Zivilcourage gegen Rechtsextremismus“ ('00), „Kein Blut für Öl“ ('03).
Mit dem Ruf des deutschen Volkes nach Frieden ist es wie mit dem Kampf des deutschen Volkes gegen die Neonazis. Was so anheimelnd und menschelnd klingt, offenbart sich bei genauerer Betrachtung als deutsche Sehnsucht nach ungetrübter Gemeinschaft.
Das jedoch wollen und können die Bewegungslinken der postantifaschistischen Gruppe BgR nicht verstehen. Bei ihnen läuten angesichts deutscher Bewegungen nicht die Alarmglocken, sondern dröhnen die Signalhörner. Was dem pawlowschen Hund das Klingeln, ist dem Politiker die Masse auf der Straße. Dann geht es nicht mehr darum nachzudenken, sondern einzuschwenken, um mitzulenken. Anstatt die Bewegung ernst zu nehmen – als Gefahr –, möchte man den reaktionären Kräften nicht das Feld überlassen, sondern auch ran an die Hebel der Politik, welche nicht mit radikaler Kritik, sondern nur mit den Massen erreichbar sind. Und so macht man mit – hier korrigierend, dort beanstandend. Anstatt die friedensbewegten Massen aufzuklären über sich selbst – „Ihr beschissenen reaktionären antiamerikanischen Deutschen“ – und sie endlich merken zu lassen, dass sie eigenverantwortliche Menschen sind, wird ihnen von den Politikern des BgR etwas über die Interessen des deutschen Staates, über Antiamerikanismus, Antizionismus erzählt; so, als hätten die Massen, die gegen die USA marschieren, selber nichts damit zu tun – als wären sie nur fehlgeleitet. Bei den Massen bleibt von den BgR-Glossen das hängen, was sie schon wussten: „Wir werden manipuliert von den Großen und deren Interessen!“
Mag mit dem Einzelnen Aufklärung als vernünftiges Gespräch unter großer Kraftanstrengung möglich sein, so sind die Einzelnen in der Masse taub gegen beanstandende Hinweise, bestätigen einander in ihrem Wahn und freuen sich über die Lebendigkeit der Bewegung angesichts einiger BgR’ler und LSG’ler, die jene Kritik in die Bewegung tragen, die das Ganze so schön pluralistisch und tolerant erscheinen lässt; jene Kritik am Antiamerikanismus und Antizionismus, die als Litanei so wichtig ist, um sich selbst – in der Befürchtung man treibe es zu bunt – zu verleugnen.
Dabei wäre es – und die BgR’ler haben eine Ahnung davon – nirgends einfacher als in Deutschland, das Richtige zu tun, muss man angesichts von Massenbewegungen doch einfach dagegen sein; und zwar dagegen und nicht als Farbtupfer mittendrin „irgendwie“ dagegen. Kommunistische Kritik hat entgegen linksradikaler Politik nicht das Bedürfnis, die bewegten Massen dort abzuholen, wo sie stehen, sondern sie für ihren Standpunkt zu kritisieren.
Wer glaubt ein Begriff wie „Frieden“ gestatte es, diejenigen, die ihn verwenden, dort abzuholen, wo sie stehen, ist und bleibt Politiker. Wer glaubt am Begriff des Friedens die Massen agitieren zu können, weil solch ein Begriff die Antizipation des „Nichtrealen“ im „Realen“ (BgR) sei, der weiß nichts über die gesellschaftlichen Verhältnisse, die Begriffe affizieren, und darf sich über sechs Milliarden Zeitgenossen freuen, die alle den Frieden wollen und damit das begehrte „Nichtreale“ bei sich tragen, quasi sich wie die Genossen vom BgR alle „außerhalb der Dichotomie der Möglichkeiten“ (BgR) aufhalten. Wer ist schon gegen Frieden? Wer, wie das BgR, uns vorwirft, wir hätten keinen Begriff vom Krieg, glaubt tatsächlich an die Ahistorität von Begriffen. Da Deutschen nur einfällt, Krieg als „Prozess des Schreckens“, „menschenvernichtender und -verachtender Zustand“, „massenhafte Tötung“, „Verletzung, Verkrüppelung und Traumatisierung von Hunderttausenden“ und „Ausradierung der wirtschaftlichen Lebensbedingungen“ (alle Zitate BgR), und nicht als Mittel zur Emanzipation zu denken, wollen wir abwarten, was dem BgR die Geschichte des erfolgreich geendeten Irakkriegs sagt. Vielleicht fällt ihnen auf, dass es solche und solche Kriege und solche und solche Ergebnisse gibt. Ganz logisch könnte man dann den Krieg in Relation zu dem Ergebnis setzen und werten. Aber in Deutschland bewirbt man eine Veranstaltung zum Krieg so wie das BgR es vor einem Jahr erfolgreich tat: Ein Flyer, ein Wort in großen Lettern: „KRIEG“. Die Vorkämpfer der deutschen Zivilgesellschaft, die wenig später zur Friedensbewegung trommelten, strömten zur BgR-Veranstaltung. Deutsche Politik macht der, der dem deutschen Volke die menschelnden und ideologischen Allzweckbegriffe von der Seele liest, um damit postwendend zu kokettieren, anstatt sich über die Funktion der Kampf-Begriffe in einer deutschen Bewegung klar zu werden und sie zu meiden. Der Ruf nach Frieden ist spätestens seit dem Nationalsozialismus zum Kampfruf gegen die USA und für die Barbarei geworden.
Da sich das Wahre, wie Theodor W. Adorno im Anschluss an Marx sagt, vom Falschen aus als Kritik bestimmt, muss Kritik im Falle der Gefahr dieser unverblümt entgegenstehen. Währenddessen Kritik beim Einzelnen auf dessen Leiden und die dafür verantwortlichen Verhältnisse verweisen kann und muss, sind die Individuen in den Bewegungen längst schon taub gegen ihr eigenes Leiden, hat die Masse als Gemeinschaft gegen das Böse doch längst schon dem Einzelnen jene Pseudo-Aktivität und Kollektivität gegeben, die seinem Leiden als Wahn ein gemeinschaftliches Ventil verschafft hat. Kritik hat solcherweise die Gefahr darzustellen und zu bekämpfen. Überschreibt das BgR seine Reflexion auf den Tag X mit „So nicht“, könnte das entweder der Enttäuschung des Politikers, dem die Massen noch nicht folgen, entsprechen – eine Kampfansage an die Vernunft –, oder der Beginn der Einsicht sein, mit den deutschen Massen als Kritiker und nicht als Politiker zu verfahren.

Beschwörende Linke

Die Radikale Linke spielt seit geraumer Zeit den Stichwortgeber für Deutschlands Katharsis. Sie hat das antizipiert, was heute Volksgut ist. Ihre Funktion ist aber weniger die einer deutschen Avantgarde, sondern mehr, immer das zu sagen, was andere Deutsche als Deutsche nur still vor sich hindenken. Die Linke hat mit ihrem Geschwafel: „All Nations – Halluzinations“, die Last der Vergangenheit für sich selber erfolgreich dekonstruiert. Wo „deutsch“ nicht mehr drauf geschrieben steht, kann auch nichts Deutsches mehr drin sein. Glaubt sie und marschiert als antinationaler Multikultizirkus munter drauf los, um die Welt mit ihrem deutschen Gedankengut zu retten: Der Antiimperialismus ist heute als Völkerrechtsrhetorik gängiges Repertoire der Volkszeitungen, Stammtische und Friedensdemonstrationen, nachdem es die Radikale Linke war, die den Kampf gegen den US-Imperialismus für die Befreiung der Völker auf Demonstrationen in deutschen Städten wieder ausgerufen hat. Den Ökologismus weiß heute jeder Depp als Argument gegen die US-amerikanische Unterminierung des Kyoto-Protokolls ins Feld zu führen, seit sich im Wendland Einheimische und Angereiste, Linke und Rechte für die Heimat und gegen das Gift engagieren, nachdem der Heimatschutz gegen die Umweltverschmutzung aus den Reihen der Alternativen und Linken wieder verkündet wurde. Die Todesstrafe in Amerika baut heute jeder strebsame Student in seine Argumentation gegen Amerika ein, nachdem vor ein paar Jahren Zehntausende sich in Berlin zu einer linksradikalen Demonstration gegen die Todesstrafe und gegen die „rassistischen USA“ formierten, währenddessen in Kuba, China, Palästina, Irak, Iran und anderswo zig oder Tausende Menschen von ihrer Führung exekutiert wurden. Die Radikale Linke war es zudem, die Ende der 60’er Jahre den Antizionismus wieder salonfähig machte, ihn bis heute pflegt und mehr und mehr Mitstreiter an ihre Seite agitiert – vom naiven Gymnasiasten bis hinauf zum Volkslehrer Möllemann. Oder scheint es nur so, weil solchermaßen linksgestrickt das originär deutsch-völkische Billett auf der Höhe der Zeit weit besser, also menschlicher formuliert ist?
Das Problem der Radikalen Linken, doch das Beste zu wollen, und das Schlechteste zu machen, entspringt dem Bedürfnis alle zu belehren, aber nichts wissen zu wollen von der Kritik der Politischen Ökonomie und der Ideologiekritik. Und weil die Radikale Linke nichts von der eigenen Vergesellschaftung wissen will, bleibt sie zutiefst deutsch in ihrer Rüge am Kapitalismus. Ob es der Vielschreiber der Jungen Welt, Werner Pirker, ist, der in nationalsozialistischer Manier gegen Israel und die USA wettert oder Ebermann samt Leipziger Fanclub BgR es sind, die mit antideutschem Gestus deutsche Ideologie betreiben, indem sie meinen das beharrliche und problematisierende Auflisten von Interessen und deren Vertretern – besonders den deutschen – und internationalen Beziehungsgeflechten und deren Protagonisten wäre die Kritik an Deutschland und am Kapitalismus, ohne darum zu wissen, dass sie sich voll im deutschen Denken „Moral gegen Interessen“ tummeln, immer ist es das Fehlen einer kritischen Theorie der Gesellschaft, das zum wahnhaften Benennen der Repräsentanten „kapitalistischer Macht“ führt. Gleichzeitig entsteht das Bedürfnis, die in Bewegung gesetzten Massen über die Macht, die da wirkt – „staatliche Interessen“ (Ebermann) oder „wirtschaftliche Beziehungen zwischen der EU und dem arabischen Raum“ (BgR) – aufklären zu müssen, jene Massen, die tatsächlich die Gefahr sind: Massen die affektgeladen gegen die USA für den völkischen Sonderweg auf die Straße gehen und selber von den radikalen Belehrern nur hören wollen, dass nicht sie, sondern andere das Problem sind.
Mit dem allseitigen und wissenschaftlichen Benennen von Fakten können die BgR’ler auf Marx verzichten, ja sie wandeln nicht auf den Wegen der Kritik der Politischen Ökonomie, sondern auf deutschen Trampelfaden, auf denen nicht Waren- und Denkform der bürgerlichen Gesellschaft reflektiert und kritisiert, sondern für die Moral und gegen das Interesse gekämpft wird. So ist es auch zu erklären, dass das BgR die deutsche Zivilgesellschaft im Flugblatt „Kein Frieden mit Deutschland“ – übrigens: krass radikale Überschrift – an ihrer Ehre packen will und sie darauf hinweist, dass der „moralische Vorsprung der deutschen Außenpolitik“ als „Falschheit ... klargestellt werden muss“. Die Belehrung des BgR wendet sich in dieser Art und Weise affirmativ an die innerste Befindlichkeit der deutschen Zivilgesellschaft; sie perpetuiert moralisierenden Antikapitalismus, der nicht die freie Entfaltung des Einzelnen zum Ziel hat, sondern im Gegenteil das ungemeinschaftliche Interesse aus der Welt schaffen will.

Die Beschwörer der Apokalypse

Während sich das BgR von der Masse mit radikaler Rhetorik abgrenzen muss, weil es drin ist, müssen die Zusammenbruchstheoretiker der Krisis und deren beste Leipziger Ableger der Masse auf die Nerven gehen: Ökonomiekritik. Wertvergesellschaftung. Wertabspaltung: Keine schöne Melodie für die Massen. Nützt aber nichts, Belehrung statt Kritik der Friedensbewegung muss sein.
Die Fakten besagen, dass sich sowohl die Nürnberger Krisis-Protagonisten als auch die Wertkritischen Kommunisten Leipzig gegen den Krieg und zumeist auch für die Agitation der friedensbewegten Massen entschieden haben. Scheinbar haben sie nicht nur den finalen Zusammenbruch des Kapitalismus theoretisch antizipiert, sondern auch schon dessen Verlauf. Sie wissen seit Kurz, dass der Zusammenbruch als „Sicherheitsimperialismus“ bzw. „Weltordnungskrieg“ erscheint. Das jedoch kann man ihnen nicht als Krisentheoretiker, sondern muss man ihnen als Deutsche vorwerfen.
Die Vertreter der großen Zusammenbruchstheorie können im Dienste der Finalen Krise weder geschichtliche Erfahrung ernst nehmen noch sich als Deutsche über das Evidente und Menschlichste freuen. Anstatt aus der Erfahrung von Auschwitz zu lernen, dass es himmelweite Unterschiede zwischen „kapitalistischem Normalbetrieb“ und deutscher Krisenbewältigung gibt, wird ihnen alles was unter den Vorzeichen der warenproduzierenden Gesellschaft stattfindet – also wirklich alles – gleich schlecht, außer den schlimmen amerikanischen Kriegern als Kreuz der Menschheit und der Wertkritik als Jesus, der nicht von irdischer Finsternis sondern göttlichem Lichte ist. Die Krisis-Protagonisten und deren Adepten, die nichts mit dem Hier und Jetzt der Aufklärung zu tun haben wollen, da diese ihnen nichts als blutige kapitalistische Durchsetzungsgeschichte ist, sind himmlischen Wesens und zeigen als solche den Weg aus dem Kapitalismus, der nichts als seine eigene Zusammenbruchsgeschichte schreibt. Als Gegner der Aufklärung und als Propheten des Zusammenbruchs müssen sie nicht mehr auf die Tat des Menschen hoffen, die dasjenige Glücksversprechen, das die bürgerliche Gesellschaft den Individuen gleichzeitig liefert und vorenthält, wider alle Gegenaufklärung einlösen kann, sondern verdammen alle drängende Tat, die nicht dem Mief der bäuerlichen Subsistenz, sondern den Träumen von Kosmopolitismus, Hedonismus und individueller Freiheit folgt. Jene bürgerlichen Träume sind ihnen der Brennstoff für den Big Bang, den sie mit Askese und Ziegenkäse abwenden wollen. Insofern erscheint ihnen die Forderung „Sherry statt Sharia“ als Zynismus und nicht als Kampfruf gegen alle Zwangskollektive.
Anstatt den Menschen im besetzten Irak ihre hinzugewonnene Freiheit zu gönnen, verschwindet den Zusammenbruchstheoretikern jeder humanistische Fortschritt in ihren deutschen Prognosen, obwohl doch selbst ihnen aufgehen müsste, dass jedes Mehr an bürgerlicher Freiheit auch eines für jene kommunistischen Gedanken ist, die dem Verhängnis – sei es eins mit oder ohne Finale Krise – ein emanzipatorisches Ende setzen wollen. Statt dessen stimmten sie vor dem Krieg in den Deutschen Bockgesang von Flächenbrand, Häuserkampf, Krieg-an-sich und Untergang der Menschheit mit ein. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, werden nun jubelnde Menschen nicht wahrgenommen, sondern nach jenen Beispielen begierig gesucht, die Gegenteiliges beweisen sollen und nach denen auch die deutsche Volksbewegung für den Frieden lechzt. So bewusst uns ist, dass der Kapitalismus unvernünftig ist und untauglich, die Gattung Mensch auf ewig zu erhalten, so bewusst ist uns gerade, von wem die hauptsächliche Gefahr ausgeht. Nämlich von den moralisierenden Friedenskämpfern, welche die barbarische Friedensordnung der Völker und Regimes als natürliche Ordnung gegen das Individuum und die Gattung Mensch fordern und damit die restlose Ausmerzung einer individuellen Vernunft, die sich als einzige von der halluzinierten natürlichen Ordnung und damit der zweiten Natur zu emanzipieren vermag.
Warum die Zusammenbruchstheoretiker so wenig Krisenbewusstsein haben, dass sie, anstatt die Amerikaner über die deutsche Friedensbewegung aufzuklären, lieber die deutsche Friedensbewegung über die „sicherheitsimperialistischen Ordnungskriege der ersten und einzigen kapitalistischen Weltmacht USA und die kapitalistische Verbrennungsideologie“ (sinngemäß: R. Kurz) belehren wollen, bleibt ihr deutsches Geheimnis, welches zugegebenermaßen weniger auf Ziegenkäse aus Haina, sondern mehr auf eine fehlende Ideologiekritik zurückzuführen ist. Ziegenkäse schützt aber so wenig vor einer deutschen Volksgemeinschaft, wie Ideologiekritik satt macht.

Mai 2003
Antideutsch-Kommunistische Gruppe Leipzig
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