Opium der deutschen Bevölkerung
Eine emanzipatorische Kritik der Wehrmachtsausstellung
Am Samstag den 8.Juni eröffnet in Leipzig die Wanderausstellung
Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941 bis 1944. Sie ist eine
stark überarbeitete Fassung der Ausstellung Vernichtungskrieg.
Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944, die seit ihrer Eröffnung im
März 1995 in Deutschland und Österreich heftige Attacken gegen die
These von der Beteiligung deutscher Wehrmachtssoldaten an Massenvernichtung
hervorrief. Nicht die Wehrmacht und mit ihr die deutsche Vergangenheit gerieten
ins Visier der Kritik, sondern die Ausstellung, welche die Beteiligung ganz
normaler Deutscher an den Verbrechen des Nationalsozialimus aufzeigte. Dem
Wunsch vieler Deutscher, angesichts der Dauerpräsentation der
Schande (gemeint ist Auschwitz)
wegzuschauen (Martin Walser,
1998), wurde die Ausstellung nicht gerecht. Sie zeigte einen Bruchteil der
Geschehnisse, die in den Überlieferungen zwischen den deutschen
Generationen kollektiv verschwiegen wurden. Sie zeigte nicht Hitler bei der
Arbeit, sondern das deutsche Volk, wie es die Massenvernichtung
durchführte.
Unsere Kritik, die darauf zielt, Auschwitz und Ähnliches für immer
unmöglich zu machen, geht über die Intention der Ausstellung,
über die deutsche Vergangenheit zu berichten, hinaus, indem sie die
Ursachen von Auschwitz beseitigen will. Die Darstellung der Vergangenheit soll
nicht der Wissenschaft, sondern muss der Denunziation von Verhältnissen,
die Auschwitz notwendig hervorbrachten, dienen.
Aufgearbeitet wäre die Vergangenheit erst dann, wenn die Ursachen
des Vergangenen beseitigt wären. Nur weil die Ursachen fortbestehen, ward
sein Bann bis heute nicht gebrochen.
(Th. W. Adorno: Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit)
Auschwitz als Begriff steht für die Vernichtung von Millionen
Menschen. Diese Vernichtung geschah durch Deutsche für Deutsche
als reiner Selbstzweck. Auschwitz stand am Ende einer bürgerlichen
Epoche, die sich durch den Optimismus von Aufklärung, Nationalstaaten,
Demokratie, Gewaltenteilung, Völkerbund, industriellen Fortschritt und
Kunst kennzeichnete. Auschwitz geschah nicht in einer völlig anderen Welt
oder Zeit, sondern am Ende einer Zeitepoche, deren Dichter und Denker auch
heute gerne zitiert werden, um die Ordnung der Gegenwart zu begründen.
Auschwitz befindet sich am Ende einer bürgerlichen Entwicklung, die im
Namen der Freiheit in den USA und Europa im 18. Jahrhundert erstmals politische
Gestalt annahm und auch in Deutschland geistig, politisch und kulturell wirkte.
Doch als Ereignis stellt es einen Bruch in der bürgerlichen Geschichte
dar. Auschwitz erscheint als das Gegenteil einer bürgerlichen
Gesellschaft, aus der es wiederum nicht herauszubrechen ist.
Und Auschwitz als deutsches Projekt ist aus Deutschland nicht herauszudenken.
Für eine Menschheit wäre die Einsicht, von Auschwitz als dem Ende
einer bürgerlichen Epoche und dem Ende von Deutschland zu sprechen, die
einzig mögliche, um menschliche Verhältnisse herzustellen. Doch weder
das deutsche noch das bürgerliche Selbstbewusstsein wurden dergestalt
erschüttert. Der Nationalsozialismus ist der gängigen Betrachtung
immer ein äußeres Problem. Vom Standpunkt der bürgerlichen
Gesellschaft steht der Nationalsozialismus innerhalb einer Reihe
totalitärer Systeme, die eine Antithese zum liberalen Pluralismus bilden.
Vom Standpunkt Deutschlands ist, nachdem sich die geschichtspolitische
Großwetterlage
durch die Beteiligung am Kosovo Krieg
dramatisch verändert hat,
die Frage nach deutscher Schuld
endgültig in die Frage nach deutscher Verantwortung übersetzt
(Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.10.99).
Diese Feststellung traf die FAZ in einem Artikel zur Ausstellung
Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944. Die
Ausstellung selber schloss als Reaktion auf breite Kritik, welche die
undifferenzierte und provokante Gestik der Ausstellung
angriff, 1999 ihre Pforten, um 2001 unter dem Titel Dimensionen des
Vernichtungskrieges 1941 bis 1944 wieder zu eröffnen. Verband sich
mit der ersten Ausstellung noch ein Fünkchen Hoffnung, dass die Deutschen
ihre kollektive Schuld eingestehen würden, so war die Tatsache der
Überarbeitung der Ausstellung genau das Gegenteil eines kritischen Umgangs
mit deutscher Geschichte: Ein Indiz für die Normalisierung deutscher
Vergangenheit mittels Versachlichung und Verwissenschaftlichung.
Warum eine Aufarbeitung der Vergangenheit nur mit der Abschaffung
Deutschlands und der Aufhebung des Kapitalismus einher gehen kann, andere
Ansätze der Vergangenheitsbewältigung die Gefahr einer Wiederholung
völkischen Wahns nicht beseitigen können, die Normalisierung
deutscher Verhältnisse derzeit unerträglich voran schreitet und es
nicht um wissenschaftliche Geschichtsbetrachtung, sondern um die Kritik an
deutscher Geschichtsschreibung und Historisierung geht, erklärt sich im
folgenden Text.
I. Kapitalismus
1. Kritik am traditionsmarxistischen Antifaschismus
Georgi Dimitroff hat 1935 eine Erklärung des Faschismus auf Grundlage der
Leninschen Imperialismustheorie formuliert, die von der Kommunistischen
Internationale übernommen wurde. Die Analyse gipfelt in der Behauptung,
der Faschismus sei die offene terroristische Diktatur der
reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen
Elemente des Finanzkapitals. Die Ereignisse in den weiteren Jahren des
Faschismus lassen sich durch diese These nicht mehr erklären. Sowohl der
Überfall auf die Sowjetunion, als auch die Deportation und Vernichtung von
Millionen von Juden lassen sich mit ökonomischen Argumenten nicht
herleiten und widersprechen jeder bürgerlichen Rationalität. Zwar hat
die deutsche Wirtschaft die Ergebnisse des deutschen Vernichtungskrieges, seien
es Zwangsarbeiter oder Rohstoffquellen, gewissenlos genutzt, ihr Einfluss wurde
aber spätestens mit dem ihr zuwiderlaufenden Angriff auf die Sowjetunion
ad absurdum geführt. Trotz dieser Tatsachen wurde die Faschismusthese
Dimitroffs in der DDR gepflegt. In dieser Form leistete die
Geschichtsschreibung der DDR ihren Teil der Vergangenheitsbewältigung, die
den Faschismus weder aus einer bürgerlichen Subjektkonstituierung noch aus
einem deutsch-völkischen Sonderweg erklärte. Statt dessen wurden die
Deutschen zu den ersten Opfern einer chauvinistischen Führungsclique des
Finanzkapitals gemacht und als DDR-Bürger von ihrer
nationalsozialistischen Vergangenheit freigesprochen. Daher disqualifiziert
sich der in der DDR verordnete Antifaschismus in erster Linie nicht wegen
seines autoritären, sondern wegen seines unkritischen Charakters und
kollektiven Freispruchs. Auch in weiten Teilen der BRD-Linken wurde die
Dimitroff-These propagiert. Dieser falsche Antifaschismus basiert auf einem
falschen Antikapitalismus. Diese Kritikformen, so emanzipativ sie auch gemeint
sein mögen, sind deshalb falsch, weil sie erstens zu keiner
gesellschaftskritischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit führen
und zweitens gefährliche Implikationen beinhalten. Aufgrund der Analyse,
dass der Faschismus ein Projekt der am meisten imperialistischen
Kräfte der Gesellschaft wäre, werden zum Beispiel die USA als
eine faschistische Gefahr denunziert, währenddessen nationale
Befreiungsbewegungen unkritisch unterstützt werden. Die zwingend expansive
Tendenz des Kapitalismus mit dem Begriff des Imperialismus zu einer
faschistischen Qualität zu machen und den nationalistischen Impetus von
Befreiungsbewegungen zu unterstützen, ist gefährlich
irreführender Quatsch.
Eine ihrem Wesen nach ähnlich falsche Zuschreibung zeigt sich in der
antifaschistischen Parole: Hinter dem Faschismus steht das Kapital.
Dem Inhalt dieses Spruches könnte man nicht viel anhaben, wenn man nicht
wüsste, dass die dazugehörigen Sprücheklopfer mit dem Kapital,
anstatt eines prozessierenden anonymen gesellschaftlichen Verhältnisses
zwischen den Menschen konkrete Personen aus Politik und Wirtschaft meinen. Das
Verständnis des Kapitalismus basiert in dieser Form, indem es die
kapitalistische Gesellschaft in böswillige Ausbeuter und ausgebeutete
Massen unterteilt, auf einer Personifizierung und ähnelt so erschreckend
antisemitischer Ideologie. Das Problem besteht genau genommen darin, dass das
Kapital nicht hinter dem Faschismus steht, sondern ihn in spezifischen
Krisensituationen notwendig hervorbringt.
2. Kapitalismus, ein anonymes Herrschaftsverhältnis
Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte vom Faschismus
schweigen.
(M. Horkheimer: Die Juden und Europa)
Der Kapitalismus ist nicht deshalb ein Skandal, weil er eine Herrschaft von
einigen Menschen über andere Menschen sei, sondern weil er als ein von
allen Menschen reproduziertes Verhältnis über alle Menschen herrscht.
Dieses Verhältnis ist in seinem Wesen abstrakt, prozessiert als
Widerspruch und erscheint dem bürgerlichen Subjekt als empirisch
wahrnehmbare Vergegenständlichung. Wenn man aber von dieser Verdinglichung
nicht auf das Abstrakte des herrschenden Gesellschaftsverhältnisses
schließt, wird notwendig Ideologie erzeugt, die das Wesen des objektiven
Gesellschaftszustandes verschleiert. Spezifische Formen dieser Ideologie
können sich in gesellschaftlichen Krisen- und Transformationsprozessen zu
maßlosem Vernichtungswahn auswachsen.
2.1. Tausch
Der Kapitalismus ist eine hochentwickelte warenproduzierende Gesellschaft. Der
Austausch und die Produktion zwischen verschiedenen Waren ist nicht
natürlich, sondern historisch gewachsen. Das Verhältnis, in dem sich
Waren tauschen, ist ein gesellschaftliches. Es vermittelt die Waren zueinander
und macht so den Tausch erst möglich. Den Waren kommt durch dieses
Verhältnis als Vergesellschaftungsprinzip ein Wert zu. Dieser Wert ist die
gesellschaftliche Synthese, das spezielle Vergesellschaftungsprinzip, und
findet eine Form und einen Ausdruck in der Ware, ohne dass der Wert mit Form
und Ausdruck identisch ist. Um überhaupt tauschen zu können, bedarf
es der Warenform. Diese Warenform wiederum ist die Voraussetzung dafür,
Produkte und Dinge unterschiedlicher Qualität überhaupt miteinander
vergleichen zu können. Die Möglichkeit des Warenvergleichs
ermöglicht den Tausch unterschiedlicher Dinge als aktive Handlung, als
Tauschakt. Die wertbildene Substanz ist die gesellschaftliche
Durchschnittsarbeit, die zur Herstellung einer Ware benötigt wird. Diese
gesellschaftliche Durchschnittsarbeit ist immer relativ, denn was soll schon
ein festgeschriebener gesellschaftlicher Durchschnitt sein. In diese
Durchschnittsarbeit gehen neben dem Quantum Arbeitszeit durchschnittliche
Geschicklichkeit, durchschnittliche Freizeit und durchschnittliche Bildung ein.
Ein genau bestimmbares Maß zur Ermittlung des gesellschaftlichen
Durchschnitts gibt es nicht. Er ist also immer relative aber nicht beliebige
Abstraktion vom Konkreten. Der Wert als Vergesellschaftungsprinzip ist das
Grundlegende und Vermittelnde der kapitalistischen Gesellschaft. Durch die
Spezifik kapitalistischer Produktion, also der Warenproduktion, lassen sich die
unterschiedlichsten Gegenstände durch Abstraktion von ihrer jeweiligen
konkreten Qualität quantifizieren. Sie lassen sich so miteinander
vergleichen und tauschen. Anhand der in die Waren eingeflossenen
gesellschaftlich notwendigen Arbeit lassen sich die Gebrauchsgegenstände
vergleichen und damit tauschen. Aller gesellschaftlicher Austausch regelt sich
vermittelt über dieses eigenartige Ding, den Wert. Der Wert
drückt ein soziales Verhältnis aus, ist aber selbst kein soziales
Verhältnis. Indem Waren miteinander getauscht werden, erscheint der
Tauschwert als Form und Ausdruck des Werts: Das soziale Verhältnis
verdinglicht sich durch die Ware, ohne dass auch nur ein Atom
Naturstoff (Karl Marx) in sie eingehen würde.
2.2. Geld
Als allgemeines Warenäquivalent dient im Kapitalismus das Geld. Das Geld
ist aber zugleich die konkrete Erscheinung des Wertes und bringt so die Waren
in der kapitalistischen Gesellschaft zueinander. Gleichzeitig ist es, das Geld,
als Zirkulationsmittel das Schmiermittel des gesellschaftlichen
Warenflusses.
Im Geld tritt den Tauschenden die Abstraktheit in konkreter Form
gegenüber. Das Geld ist die Verdinglichung der Abstraktion, ihr
materieller Repräsentant. Die tatsächliche Abstraktion bleibt
verborgen und tritt den Menschen als Warenbesitzer erst in Form des Geldes real
gegenüber. Den Subjekten ist die Abstraktheit der Vermittlung ihres
gesellschaftlichen Zusammenhangs nur in verklärter, verkehrter und
verkehrender Form bewußt. Sie ahnen erst etwas von der Abstraktion, wenn
es bereits zur Verdinglichung der Tauschabstraktion im gemünzten Geld
gekommen ist. Die Abstraktionsleistung, die mit dem Tausch vollzogen wird,
passiert unabhängig vom Bewusstsein und beeinflusst es dennoch
folgenschwer. Das Geld bringt die Tauschabstraktion zu Bewusstsein, aber in
unbewusster Form.
2.3. Arbeit
Der Doppelcharakter der einzelnen Ware, einerseits konkreter
Gebrauchsgegenstand zu sein, andererseits Wert zu haben, spiegelt sich in der
spezifischen kapitalistischen Produktion als konkrete und abstrakte Arbeit.
Konkrete Arbeit ist gebrauchswertbildend, abstrakte Arbeit ist
tauschwertbildend, ohne dass das Eine dem Anderen äußerlich
wäre oder erst hinzutreten würde. Gebrauchswert wie Tauschwert sind
die zwei notwendigen Seiten der einzelnen Ware. Das heißt, das Eine gibt
es nicht ohne das Andere, so dass auch ein Gebrauchswert nicht vom Tauschwert
zu trennen ist. Alle Arbeit ist einerseits Verausgabung menschlicher
Arbeitskraft im physiologischen Sinn, und in dieser Eigenschaft gleicher
menschlicher oder abstrakt menschlicher Arbeit bildet sie den Warenwert. Alle
Arbeit ist andererseits Verausgabung menschlicher Arbeitskraft in besonderer
zweckbestimmter Form, und in dieser Eigenschaft konkreter nützlicher
Arbeit produziert sie Gebrauchsgegenstände. (ders.) In einer
warenförmigen Gesellschaft werden also die Gegenstände dadurch
vergleichbar, indem auch unterschiedlichste Arbeiten quantitativ vergleichbar
gemacht werden. Die Arbeiten werden zu unterschiedslosen menschlichen
Arbeiten (ders.). Der gesellschaftliche Charakter ihrer eigenen Arbeiten
erscheint den Menschen als gegenständlicher Charakter der Arbeitsprodukte
selber. Ein gesellschaftliches Verhältnis zwischen den Menschen nimmt die
Form eines natürlichen Verhältnisses von Dingen an. Ihre eigene
Bewegung besitzt für
(die Menschen) die Form einer Bewegung von
Sachen, unter deren Kontrolle sie stehen, anstatt sie zu
kontrollieren. (ders.)
Alle Menschen müssen im Kapitalismus ihre Arbeitskraft als Ware feilbieten
und verkaufen. Da die Verausgabung menschlicher Arbeitskraft gesellschaftlich
vermittelt durch den Tausch als Tauschwert gesetzt wird, ist die Gleichheit der
Menschen als Ware Arbeitskraft die Voraussetzung für Konkurrenz zu- und
miteinander (ob zu Mensch oder Maschine ist dabei zweitrangig) Nur im Tausch
für seine Arbeitskraft bekommt der Mensch Lohn. Je gesellschaftlich
anerkannter ein Mensch arbeitet, um so mehr kann er sich in der Konkurrenz zu
anderen Menschen und Maschinen hervortun. Andere, die sich nicht so gut
verkaufen können, gehen krachen.
2.4. Mehrwert
Der entscheidendste Begriff des Kapitalismus, wie der Name dieser
Gesellschaftsformation schon sagt, ist der des Kapitals. Jenes ist
wertheckender Wert (ders.). Das heißt, dass Wert aus sich
heraus mehr Wert wird. Zur Veranschaulichung: Menschen betätigen sich als
Unternehmer, verfügen über eine bestimmte Menge Geld. Dieses Geld
wird investiert, indem Waren aufgekauft werden. Aus dieser Investition muss
zwingend mehr Geld herausspringen. Menschen werden als variable Waren
eingestellt und ein Mehr ihrer Arbeitskraft, der Mehrwert, wird von ihnen
abgepresst. Die so entstehenden Arbeitsprodukte haben nun mehr Wert als zum
unmittelbaren Zeitpunkt ihrer Investition durch den Unternehmer. Damit kann er
sie gewinnbringend zu verkaufen versuchen. Die menschliche Arbeitskraft ist die
einzige Ware, aus der heraus Mehrwert geschöpft werden kann.
2.5. Warenmonaden
Kapital als soziales Verhältnis ist ein gesellschaftlicher Zustand, der
Menschen unentwegt in Waren, in Dinge, in Objekte verwandelt, die
gesamtgesellschaftlich gesehen nichts zu melden haben. Produktion im
Kapitalismus hat in keiner Weise zum Ziel, jemanden zu befriedigen, satt oder
glücklich zu machen. Es geht immer ausschließlich darum, daß
sich das Kapital selbst vermehrt, daß der Prozess der
Selbstverwertung des Werts (ders.) immer weiter betrieben wird. Die
zu Dingen herabgewürdigten Menschen müssen genauso wie andere Waren
durch das Nadelöhr der Wertvergesellschaftung. Sie werden durch die
Verwertungslogik zugerichtet. Die Menschen müssen sich dabei selbst zu
Dingen, zu Objekten, zu Waren machen. Sie produzieren und reproduzieren genau
die Verhältnisse, von denen sie beherrscht werden. Sie schaffen die
herrschende Funktionsweise, von der sie dann durch die Form, in der sie
sich verhalten müssen wiederum geknechtet werden. Indem im
Kapitalismus die sozialen Verhältnisse in den Waren verdinglicht werden,
kommt es zu fetischistischem Bewusstsein die Warenform wird
vergötzt.
Der Kapitalismus ist eine Gesellschaftsform, die zwar irgendwann einmal von den
Menschen hervorgebracht wurde, die aber bis heute Menschen beherrscht und
Menschen zu Objekten niederdrückt zu Objekten eines
subjektähnlichen quasi-automatischen Prozesses, der anstelle der Menschen
durch sie hindurch ihre Verkehrsform mit- und zueinander regelt und bestimmt.
Das fetischistische Bewußtsein ist ein notwendig falsches. Durch die
allgemeine wie besondere Anerkennung des Fetischs Ware wird dieses
gesellschaftlich wirksam. Dadurch erscheinen die gesellschaftlich erzeugten
objektiven Gedankenformen (ders.) als praktisch richtig, weil sie
den täglichen Anforderungen an die Individuen entsprechen. Dennoch lassen
sich diese alltäglichen Vorstellungen als falsch erkennen, sobald die
eigene Denkform auf die gesellschaftlichen Verhältnisse
zurückgeführt wird. Dabei kommt die Notwendigkeit dieser falschen
Vorstellungen zum Vorschein. Das fetischistische Bewußtsein ist
notwendiger Bestandteil der inneren Bewegungsgesetze kapitalistischer
Warenproduktion und ist ex negativo die Wahrheit über den falschen
Zustand. Alle Menschen, die in der kapitalistischen Gesellschaft leben, egal,
ob sie sich nun unternehmerisch betätigen oder auf der
Gegenseite ihr Dasein fristen müssen, stehen unter der
Herrschaft dieses Kapitals. Es allein konstituiert die Weltgesellschaft und
hält sie bis heute zusammen. Kapital an sich fällt nicht unmittelbar
mit direkter Herrschaft zusammen, ist aber ohne sie, den Staat, nicht
funktionsfähig. Denn gemäß der Bewegungsgesetze des Kapitals,
dass es zwingend expandieren muss, um mehr akkumulieren zu können, zieht
das Kapital alles ohne Unterschiede solange in seinen Bann, bis es zur
Verwertung überflüssig geworden ist. Wenn wir auf die Aufhebung des
Kapitalismus hoffen, dann radikal: Vom Tausch bis zum Staat.
3. Nation und Staat
Die im Warenfetischismus befangenen Individuen müssen und wollen ihre
Waren miteinander tauschen. Damit sie das können, müssen sie sich
gegenseitig als Privateigentümer ihrer jeweiligen Waren anerkennen
wodurch der politische Souverän, das staatliche Gewaltmonopol, auf den
Plan gerufen wird. Als Warenbesitzer werden, garantiert und durchgesetzt durch
den Staat, alle Menschen zu gleichen Individuen, die ihre Arbeit tauschen.
Subjekt ist der Mensch in der bürgerlichen Gesellschaft nur, insofern er
Privateigentümer von Waren ist, die er zum Tausch anbietet. Im Austausch-
und Produktionsprozess treten sich die Menschen als ökonomische
Charaktermasken, als PersoniWkationen der ökonomischen
Verhältnisse (ders.) gegenüber. Im und vermittels des Staates
schaffen die Warenbesitzer die allgemeinen Grundlagen ihres ökonomischen
Daseins, indem sie von ihren Besonderheiten abstrahieren und ein System freier
und gleicher Arbeit schaffen. Die freie Entfaltung unterliegt im Kapitalismus
der Diktatur von Gleich zu Gleich, analog des Tausches von Warenwerten.
Bürgerliche Subjektivität ist das Selbstbewusstsein als Ware und der
Kampf um die Realisierung des eigenen Werts. Die Menschen treten in ein inneres
schizophrenes Verhältnis. Einerseits sind sie als Bourgeois konkurrierende
Individuen, andererseits schaffen sie gemeinsam als Citoyens im Staat eine
allgemeine Grundlage ihres ökonomischen Seins. Der Staat als ideeller
Gesamtkapitalist ist die Voraussetzung für das Handeln der
kapitalistischen Individuen. Das Handeln der kapitalistischen Individuen ist
die Voraussetzung für einen Staat. Der Staat hebt alle Bürger in den
Stand, sich auf dem Arbeitsmarkt frei verkaufen zu können und
Privateigentum zu besitzen. Zudem vermittelt der Staat die Gegensätze der
kapitalistischen Individuen, ohne dass diese sich gegenseitig an den Kragen
gehen.
Der Rahmen sich im Staat vereinender Menschen war die Nation. Sowohl innerhalb
der Nation als auch zwischen den Nationen regelte sich der politische Verkehr.
Die Nation trat neu auf die Weltbühne und musste sich in den Köpfen
der Menschen als Ordnungsprinzip legitimieren. Damit musste das Selbst und das
Andere der Nation definiert werden. Das war die Grundlage rassistischen und
antisemitischen Denkens. Die Konstitution der Nation, die sich quasi als
Ergebnis und Bedingung eines bestimmten Stadiums kapitalistischer
Vergesellschaftung notwendig machte, impliziert eine zunehmende Tendenz zum
Rassismus und Antisemitismus.
Dass gerade in Europa und insbesondere Deutschland der Antisemitismus
hervortrat, hat damit zu tun, dass eben hier die Nation nicht nur als
heterogener politischer Zusammenschluss erfahren werden konnte, sondern, im
Gegensatz zum Beispiel zu den USA, die Herstellung einer kulturellen
Homogenität durch eine gemeinsame Sprachzugehörigkeit, Geschichte und
eingebildete Volksseele gerechtfertigt wurde.
II. Auschwitz, ein deutsches Projekt
1. Bürgerliches Subjekt, Krise in Permanenz
Die Situation, einerseits sich als kapitalistisches Konkurrenzsubjekt um sein
Privatwohl, andererseits sich als Staatsbürger um das Allgemeinwohl zu
kümmern, ist für das bürgerliche Subjekt eine schizophrene.
Dieser Zwiespalt unterläuft in Permanenz die Identität im
bürgerlichen Subjekt. So wie die Konkurrenz den Staat hervorbringt,
bedroht sie ihn auch. So wie der Staat die Konkurrenz garantiert, behindert er
sie auch. Die Einheit im Subjekt ist die Einheit von Dr. Jekyll und Mr. Hyde.
Nach den Vorstellungen bürgerlicher Ökonomen sollen die Individuen
durch die Konkurrenz dem Gemeinwohl in die Hände spielen. Da der
Kapitalismus aber, und das wissen heute selbst bürgerliche Ökonomen,
ein Krisenzyklus ist, der darin besteht, dass die Rationalisierung des
Produktionsprozesses in bestimmten Phasen höher als die Produktion neuer
Produkte ist, was zu Wirtschaftskrisen führt, kennt er keinen idealen und
ausgeglichenen Zustand. In dem Zustand der Krise gerät das
bürgerliche Subjekt in so große Existenzangst, dass der Zwiespalt
das Subjekt innerlich auffressen würde. In dieser Situation droht
bürgerliche Rationalität in Irrationalität umzuschlagen.
Ideologien sind Denkweisen eines bürgerlichen Subjektes, die ihm seine
Selbstwidersprüchlichkeit verschleiern und seine Identität
gewähren. Man behält die eine Seite des Widerspruchs bei sich und
dichtet die andere Seite einer Fremdgruppe an. Das selbst reproduzierte
Prinzip, sich um sein Privatwohl kümmern zu müssen, wird einer
gierigen Kapitalistenklasse angedichtet. In Deutschland kam es nach
der Wirtschaftskrise 1929 in erster Linie nicht zu Konflikten zwischen
Arbeitern und Kapitalisten, was zwar auch keine positive Aufhebung des
Kapitalismus zur Folge gehabt hätte, aber bei weitem ungefährlicher
gewesen wäre, sondern zu einem Feldzug gegen die
Weltverschwörung des Judentums, der in der systematischen
Vernichtung der europäischen Juden gipfelte.
2. Antisemitismus
Ideologien sind nicht, wie es der Traditionsmarxismus meinte, Denkweisen, die
irgendeine Herrschaft von Personen stützten. Auf den Traditionsmarxismus
soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden, da der Kapitalismus
weiter oben als ein anonymes Verhältnis gekennzeichnet wurde, was eben
nicht die direkte Herrschaft von Menschen über Menschen bedeutet. Insofern
gibt es auch nicht die Ideologie der Herrschenden. Der Traditionsmarxismus ist
ebenso eine Ideologie, welche die tatsächlichen Verhältnisse
verschleiert.
Aus der spezifischen Produktionsweise im Kapitalismus in dem eben nicht
von Menschen für Menschen produziert wird, sondern Menschen
ausschließlich Mittel zum Zweck dafür sind, aus Geld mehr Geld zu
machen sich Geld also reiner Selbstzweck ist erwächst eine
Verschleierung der wirklichen Verhältnisse. Diese notwendige
Verschleierung, die aus den gesellschaftlichen Verhältnissen resultiert,
nannte Karl Marx Ideologien. Diese Ideologien bezeichnen das Scheinbare der
Verhältnisse. Jener Schein drückt sich im Bewusstsein der Menschen
unter anderem als Personifizierung des Kapitals aus. Ein abstraktes
Gesellschaftsverhältnis wird sich als Konkretes halluziniert. Man macht
konkrete Menschengruppen oder einzelne Personen für den Kapitalismus
verantwortlich.
Die gesellschaftlichen Transformationsprozesse, die mit der Durchsetzung des
Kapitalismus in den letzten Jahrhunderten einhergingen, wurden als Bedrohung
empfunden, an der den Juden eine bestimmte Verantwortung für
ungebändigte Konkurrenz und Geldwirtschaft zugeschrieben wurde. Mit der
Industrialisierung änderten sich die Lebens- und
Produktionsverhältnisse gravierend. Millionen Menschen zogen unfreiwillig
als doppelt freie Lohnarbeiter (K. Marx) vom Land in die Stadt, um
in den Fabriken Lohn für die Sicherung ihrer Existenz zu erwerben. Alte
gemeinschaftliche Gefüge wurden grundlegend verändert.
Existenzängste und Gefühl von Heimatlosigkeit brachte die
Industrialisierung mit sich. Die Ablösung der Subsistenzwirtschaft durch
eine immer totaler werdende Warengesellschaft und die Auflösung
religiös begründeter Ordnungen wurde mit der Herrschaft des Geldes
assoziiert. Hinter der anonymen Macht des Geldes wurde die persönliche
Macht der Juden gesehen. Juden wurden insgesamt mit den Phänomenen in
Verbindung gebracht, die Angst und Unsicherheit erzeugten, also Ausdruck der
Veränderung waren. Urbanisierung, Zerstörung von Großfamilie
und Wertekanon, Entwurzelung, Kosmopolitismus, Universalismus,
Traditionslosigkeit, sexueller Unzucht etc. Die Juden wurden identifiziert mit
Abstraktheit und Allgemeinheit, Habgier, Einzelinteresse, Gerissenheit,
Morallosigkeit und Veränderung.
Den Juden wurde eine abstrakte, allgemeine und unbegrenzte Kraft, die kaum
erkenntlich im Inneren von Gemeinschaften wirkt, zugeschrieben. Der
Antisemitismus ist ein Welterklärungsmodell, welches den Kapitalismus
falsch erklärt. Die Antisemiten reden zum Beispiel vom jüdischen
Spekulanten als raffendes Kapital, welches das völkische schaffende
Kapital, die ehrliche Arbeit ausbeutet. Die Ideologie Antisemitismus kehrt
innere Widersprüche der Gesellschaft nach außen, indem sie ins
Judentum projiziert werden, und produziert demnach das, was in einer
kapitalistischen Krise zum besonderen Bedürfnis wird: Gemeinschaft und
Identität.
Die Juden galten als diejenigen, die durch ihre persönliche
Bereicherungssucht die deutsche Volksgemeinschaft bedrohten. Die Juden, die vor
2000 Jahren aus ihrem Gebiet vor den Römern flüchten mussten und in
der Diaspora vor den Christen niemals sicher waren, ob sie nun im 15.
Jahrhundert aus Spanien vertrieben wurden, in deutschen Fürstentümern
in Ghettos lebten oder für die Pest verantwortlich gemacht wurden, waren
auch im säkularisierten Europa niemals ihres Lebens sicher. Erst traf sie
eine große Pogromwelle im zaristischen Russland, dann wuchsen die
Anfeindungen gegen sie in Mitteleuropa und schließlich sollten sie von
einer deutschen Volksgemeinschaft bis an das Ende der Welt verfolgt werden. Die
Juden wurden im Zustand der Diaspora als wurzellos begriffen und im
durch die Berufsdekrete der deutschen Fürstentümer erzwungenen
Stande Berufe als Händler und Geldverleiher zu ergreifen, als
gierig angesehen. Mit dieser Zuschreibung wurde ihnen abgesprochen,
gewissenhafte Staatsbürger sein zu können. Sie waren diejenigen, die
den Staat mit ihrer profitgierigen Existenz bedrohten. Im allgemein
widersprüchlichen Sein der bürgerlichen Subjekte, einerseits als
Konkurrenzsubjekte, andererseits als Staatssubjekte zu leben, wurde von den
Deutschen den Juden die hemmungslose Konkurrenz, und sich selbst der ehrliche
Dienst am Gemeinwohl zugeschrieben. Die Juden wurden nicht mehr als
Religionsgemeinschaft, sondern als Rasse, die in einer heimlichen
Verschwörung die Gemeinschaften der verschiedenen Völker
unterwandert, angesehen. Die Deutschen halluzinierten sich als das Volk,
welches die Welt von den Juden befreien müsse.
3. Eliminatorischer Antisemitismus, deutsche Krisenbewältigung
Gab es in anderen nationen interne Konflikte zwischen Interessengruppen,
integrierte der deutsche Staat alle Gruppen im deutschen Gemeinschaftswahn.
Deutschland als zu spät gekommene Nation trat erst 1871 auf das
weltpolitische Spielfeld und machte aus der Not eine Tugend, indem der Staat
sich an die Spitze einer Volksbewegung setzte. Diese Konstellation, die
Vereinigung aller Gruppen inklusive des Staates an der Spitze des Volkszorns,
macht die Besonderheit Deutschlands in den Strategien der kapitalistischen
Krisenbewältigung aus. Diese besondere Konstellation ist der Gegenstand
antideutscher Kritik. Im deutschen Staat wurde das antisemitische Bewusstsein,
welches die Krise personalisiert, institutionell genährt und gefestigt. In
dieser besonderen Konstellation kann der Antisemitismus zur großen Tat,
welche die ewige Heilung von allem Übel zur Folge haben soll, der
Vernichtung der Juden, aufrufen. Das zusammengeschweißte antisemitische
Projekt Deutschland hätte, da es die wirkliche Grundlage der Krise in
Permanenz nicht aufhob, sein Ende, die erwünschte Identität zwischen
Einzelnem und Gemeinschaft, nicht gefunden. Ein von Wahn besessenes Projekt, in
dem der Zweck zu töten zum Selbstzweck wird, findet keine Erfüllung
und ruft immer erst zu(r) ganze(n/r) Arbeit auf (Adorno,
Horkheimer: Dialektik der Aufklärung). Der Feldzug gegen die Sowjetunion
entsprach als Konsequenz dem Wahn. Jeglicher militärischen und
wirtschaftlichen Logik zuwider wurde zum Angriff auf die
jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung geblasen. Nur
so konnte sich eine deutsche Gemeinschaft erhalten, die keinen inneren
Widerspruch kannte und deswegen den äußeren Feind brauchte, um die
eigene Identität zu bewahren. In diesem Zustand wachten intern alle
über alle. Keiner wollte aus der Volksgemeinschaft ausscheren oder darin
auffallen und selber zum Opfer werden und erhöhte so den Anpassungsdruck
der anderen. Denn, und das ist das gehütete Geheimnis aller damals
anwesenden Volksdeutschen, man wusste, was Opfern geschah. Wer sich
als unauffällig erwies gehörte zum Kollektiv, welches die Welt vom
Übel befreien wollte, dazu. In Anbetracht von sechs Millionen ermordeten
Juden und weiteren 40 Millionen Toten, die der zweite Weltkrieg forderte, geht
jede Betrachtung deutscher Geschichte, die versachlichen und differenzieren
will, an dem Ziel, dass so etwas nie wieder geschehen solle, vorbei. Die
Forderung nach geschichtlichem Differenzieren seitens der Deutschen
ist nichts anderes als das Klein- und Wegreden der Verbrechen.
III. Wehrmachtsausstellung
Vergangenes historisch artikulieren heißt nicht, es erkennen
wie es denn eigentlich gewesen ist. Es heißt, sich einer
Erinnerung bemächtigen, wie sie im Augenblick einer Gefahr aufblitzt. Dem
historischen Materialismus geht es darum, ein Bild der Vergangenheit
festzuhalten, wie es sich im Augenblick der Gefahr dem historischen Subjekt
unversehens einstellt.
(Walter Benjamin, Begriff der Geschichte)
Es geht nicht um die Geschichte an sich, sondern um die Kritik einer
Geschichte, deren Produkt Auschwitz war. Der Wahn des bürgerlichen
Wissenschaftsbetriebes, alles objektiv darstellen zu können,
verklausuliert die Herkunft der Erkenntnis, welche immer schon vom Subjekt
ausgehend ihren Gegenstand zurichtet. Eine solche Erkenntnis, die glaubt
objektiv zu sein, kommt weder auf die Idee, den eigenen Standpunkt zu
reflektieren, noch ihn zu benennen. Die fehlende Selbstreflexion wird der
bürgerlichen Wissenschaft zum Trumpf, indem sie den Anderen, welche ihre
Subjektivität nicht verbergen , eine tendenziöse Stoßrichtung
vorwirft. Das Subjekt mit seinen Besonderheiten, seinem Erfahrungshorizont und
seinen Wünschen wird so in der bürgerlichen Wissenschaft liquidiert,
indem an Stelle der erfahrenden Subjekte ein objektives Begriffssystem gesetzt
wird, indem Subjekte verschwinden.
Und wie (das Dokument der Kultur) selbst nicht frei ist von Barbarei,
so ist es auch der Prozess der Überlieferung nicht, in der es von dem
einen an den anderen gefallen ist.
(Walter Benjamin: Begriff der Geschichte)
Wahrheit hat ihren Zeitkern. Historisches darzustellen kann keiner
immerwährenden Wahrheit dienen, sondern steht immer in einem
gesellschaftlichen Kontext. Die Wehrmachtsausstellung steht in
einem Kontext der Historisierung deutscher Vergangenheit. Die Historisierung
des Nationalsozialismus ist dessen Einordnung in einen historischen Lauf der
Geschichte. Dies geschieht, indem der Nationalsozialismus mit anderen
totalitären Systemen oder anderen Menschheitsverbrechen in eine Reihe
gestellt wird.
Die Wehrmachtsausstellung entspringt einer internen Ausstellung des Hamburger
Institutes für Sozialforschung, in der die drei Makroverbrechen der
Menschheit dargestellt worden, wobei der Nationalsozialismus neben den
Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki und den stalinistischen
Gulags behandelt wurde. So werden die Besonderheiten des Nationalsozialismus,
dass er auf die Vernichtung der Juden abzielte, völkische Reinheit zum
Ziel hatte und durch eine eingeschworene Gemeinschaft von Staat und allen
Schichten des Volkes zustande kam, zugunsten einer allgemeinen Betrachtung
moderner Verbrechen beiseite gewischt. Wir plädieren zwar auch
für eine Betrachtung des Allgemeinen, wollen die Besonderheit deutscher
Verhältnisse damit aber nicht verharmlosen, sondern ihre Entstehung
kontextualisieren. Das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem, von
deutschen Verhältnissen und Kapitalismus, führte zu Auschwitz. Den
Nationalsozialismus darf man nicht wie jede andere Geschichtsepoche behandeln,
weil er kein normaler Teil der Menschheitsgeschichte, sondern der Versuch der
Negation jeglicher bisheriger Geschichte bedeutete. Die Tatsache, dass
Millionen von Menschen unendlich Leid durch deutschen Wahn erlitten, verlangt,
anstatt nur historischer Fakt zu sein, eine Kritik an den gesellschaftlichen
Verhältnissen überhaupt.
Die Wehrmachtsaustellung ist in ihrer öffentlichen Fassung
zwar aus dem ursprünglichen Kontext der drei Makroverbrechen
herausgelöst worden, diente aber nie einer Kritik deutscher und
kapitalistischer Geschichte. Die soziale Genese des Nationalsozialismus und die
tragenden Ideologien spielen in der Wehrmachtsausstellung eine
randständige Rolle. Statt dessen werden die Befehlsstrukturen und die
darin möglichen Handlungsspielräume ins Visier der Darstellung
genommen. Indem der völkische Hintergrund ausgeblendet bleibt, entsteht
der Eindruck, die Wehrmachtssoldaten wären auf einmal aufgrund von
Befehlen zu den Mordstaten bereit gewesen. 1941 formulierte
Generalfeldmarschall Reichenau den völkischen Grundgedanken deutlich:
Der Soldat ist im Ostraum nicht nur Kämpfer nach den Regeln der
Kriegskunst, sondern auch Träger einer unerbitterlichen völkischen
Idee.
Die tatsächlich notwendige Erkenntnis, dass der deutsche Nationalismus mit
Auschwitz verbunden ist und es daher keine Begründung für einen
nationalen Gedanken geben darf, widerstrebt dem derzeitigen Anspruch der
Berliner Republik, eine geeinte Nation mit europäischer
Verantwortung zu sein.
Der Historisierung zuträglich war gleichzeitig der Krieg gegen
Jugoslawien, zu dessen Begründung Begriffe herangezogen wurden, die bisher
nationalsozialistische Verbrechen bezeichneten. Ranghohe deutsche Politiker
redeten schamlos von serbischen KZs und dem Serbenhitler
Milosevic. Als Fratze der eigenen Geschichte diente Jugoslawien, um der
Vergangenheitsbewältigung auf die Sprünge zu helfen.
Zur Ausstellungseröffnung 1999 in Köln sagte die damalige
Oberbürgermeisterin Renate Canisius in ihrer Rede: Erstmals
sei auch unsere Bundeswehr an dem Versuch beteiligt mit
Waffengewalt eine Schneise zum Frieden zu schlagen.
Lassen Sie uns auch
in diesem Geiste des Schutzes der Menschenwürde die heutige Ausstellung
betrachten. Auch dem bis 1999 tätigen Leiter der Ausstellung Hannes
Herr ging es um einen Frieden zwischen den Generationen, der nur
dadurch hergestellt werden könne, dass das deutsche Volk der
Wahrheit ins Gesicht schaue. Dies sei ein kathartischer Prozess
(Hannes Heer, 1996). Diese Aussagen fordern keine Auflösung des deutschen
Volkes, sondern eine kritische Versöhnung mit der Geschichte und die
Rückkehr in einen gereinigten Zustand, der grundlegend für eine
Rückkehr Deutschlands in die Geschichte ist. Diese Zitate sind Beispiele
für das neue Selbstbewusstsein einer wiedererwachten Nation, die, um sich
und ihr weltpolitisches Eingreifen zu legitimieren, ihrer Geschichte in
aufgearbeiteter Form bedarf. Denn was wären nationale Identität ohne
Identifikation, kollektives Staatsbürgerbewusstsein ohne nationale
Symbolik und Geschichte basierend auf Diskontinuität?
In der zweiten Fassung der Wehrmachtsausstellung ist nur ein
Bruchteil der Bilder, welche die Täter bei der Arbeit zeigten,
übriggeblieben. Der Kritik, Bilder seien unwissenschaftliches
Quellenmaterial, glaubt man mit der neuen Ausstellung gerecht werden zu
müssen, indem an die Stelle der schockierenden Wirkung der Bilder eine
Fülle von nüchternem Textmaterial trat. Die starken visuellen
Eindrücke der ersten Ausstellung, die durch die erzeugten emotionalen
Reaktionen der Betrachter eine Wertung transportierten und ein Gedenken in die
Vergangenheit bewirkten, gibt es nicht mehr. Die Textfülle der aktuellen
Ausstellung erzeugt keine vergleichbare direkte Konfrontation, vermeidet
wertende Aussagen und vermittelt größere historische Distanz. Die
Historisierung der deutschen Vergangenheit ist in die Darstellung der zweiten
Fassung der Wehrmachtsausstellung eingegangen.
IV. Normalisierung
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands ist es zu einer rasanten Normalisierung
deutscher Verhältnisse gekommen. Währenddessen im Ausland wieder
deutsche Soldaten im Einsatz sind, werden innerhalb Deutschlands verbale
Gefechte geführt. Hier seien nur die Aktuellen angeführt. Da sind zum
einen die Forderungen an die Tschechei zur Rücknahme der Benes-Dekrete,
was unter dem Druck, die Tschechei nicht in die Europäische Union
aufzunehmen, geschieht. Die Sudetendeutschen, welche den Nationalsozialismus
unterstützten, werden so als Vertriebene zu Opfern gemacht. Die angeblich
zynische Aussage des tschechischen Präsidenten Zeman, die Sudetendeutschen
wären dorthin geschickt wurden, wo sie hin wollten, nämlich
heim ins Reich, trifft den Nagel auf den Kopf. Am 8. Mai 2002, dem
47. Jahrestagtag der deutschen Kapitulation trafen sich Bundeskanzler
Schröder und der Revisionist und Antisemit Martin Walser, um im deutschen
Fernsehen über Nation, Patriotismus und demokratische Kultur
zu schwadronieren. Dabei wurde Deutschland als normale Nation
(Schröder) bezeichnet. Wenig später macht Martin Walser mit seinem
Buch Tod eines Kritikers von sich reden, in dem er den ewigen
Juden, der nicht zu töten ist, als literarische Figur aufleben
lässt. Gleichzeitig hat die FDP, die ansonsten einen Wahlkampf ohne
Inhalte führt, den Antizionismus als Wahlkampfthema entdeckt, indem
Israel, der Staat, der nach Jahrhunderte währenden europäischem
Antisemitismus und deutschem Vernichtungswahn den Juden eine schützende
Heimat bietet, von Jamal Karsli, dem Quasi-Mitglied der FDP, Nazimethoden
vorgeworfen wurden und Möllemann die hiesigen Mitglieder des
jüdischen Zentralrates für den Antisemitismus frei nach dem alten
Naziurteil, die Juden seien an ihrer Verfolgung selber schuld, verantwortlich
machte. Die deutsche Linke mischt bei der Rehabilitierung der Vergangenheit
kräftig mit. Sie pflegt den Antiamerikanismus und Antizionismus in ihren
Reihen weiter, indem sie völkische und islamistische Kollektive gegen die
westliche Dekadenz zu schützen gedenkt. Der Blut- und
Boden-Ideologie wird von der deutschen Linken Tribut gezollt, indem von
Völkermord und Okkupation geredet wird, wenn
Israel sich gegen antisemitische Terroranschläge durch Besetzung
palästinensischer Hoheitsgebiete verteidigt. Eine deutsche Leitkultur, von
der eine CDU nur sprechen konnte, wird unter einer linken Regierung praktisch
möglich. Unter ihr wurden deutsche Kriegseinsätze, deutscher
Nationalismus und Geschichtsrehabilitierung langsam aber sicher enttabuisiert.
Der marxsche kategorische(r) Imperativ, alle Verhältnisse
umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein
verlassenes, ein verächtetes Wesen ist (Karl Marx: Zur Kritik der
Hegelschen Rechtsphilosophie) kann nur mit der Abschaffung kapitalistischer
Verhältnisse verwirklicht werden. Die deutsche Geschichte hat der
Menschheit einen Bärendienst erwiesen, indem der Marxsche Imperativ
wichtiger den je und doch zweitrangig wurde. Adorno formulierte
konsequenterweise: Hitler hat den Menschen im Stande der Unfreiheit einen
neuen kategorischen Imperativ aufgezwungen: ihr Denken und Handeln so
einzurichten, dass Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts ähnliches
geschehe. (Th. W. Adorno, Negative Dialektik). Denken und Handeln
müssen jegliches Auftreten deutscher Ideologie bekämpfen. Deutsche
Geschichte darzustellen, muss eine Kritik deutscher Verhältnisse
implizieren. Dem ist linksradikale Gesellschaftskritik verpflichtet. Sie muss
die Grundlagen von Auschwitz beseitigen wollen. Mit der Kritik der besonderen
Grundlage Auschwitz den deutschen Zuständen muss
eine Kritik von Staat und Kapital als allgemeine allgemeinen Grundlage
Auschwitz einhergehen. Die Wehrmachtsaustellung fällt in
ihren beiden Fassungen hinter diese Anforderung zurück und ist somit
Gegenstand unserer Kritik.
Deutschland? Nie wieder.
Für die Aufhebung von Staat und Kapital!
Leipzig, den 7.Juni 2002
Antinationale Gruppe Leipzig